Es ist wie befürchtet. Keiner nimmt uns mit. Trotz Dauerlächelns, unserem Bemühen, möglichst fit auszusehen und Mund-Nasen-Schutz auf Kinnhöhe, zum Hochziehen bereit, falls doch noch eine Autotür aufgehen sollte. Zum traditionell eher zurückhaltenden Verhalten der Griechen gegenüber abgehalfterten Touristen an der Straßenseite kommt nun die (absolut nachvollziehbare) Angst vorm Virus hinzu. Wäre es nach uns gegangen, würden wir in diesem Moment auch lieber im Bus in Richtung unseres nächsten workaway-Projektes sitzen, doch der ist schon abgefahren.
Dafür schlägt mal wieder die Stunde unserer immer mitgeschleppten und viel zu wenig gebrauchten Camping-Ausrüstung. In einem verlassenen Gärtchen schlagen wir unser Zelt unter ein paar Olivenbäumen auf, futtern die letzten Teigwaren der Bäckerei und werden bald von einer frischen Nacht umhüllt.
Dass die goldenen Zeiten des Trampens und wahrscheinlich auch die silbernen längst vorbei sind, hatten wir verstanden. Durch die Pandemie scheint es, als wären nun wirklich die letzten Tage des von uns so gefeierten Anhaltertums angebrochen. Gut, dass wir schon auf dem Heimweg sind. –
Doch nochmal 6 Wochen zurück.
Unsere neue Heimat für noch gut 3 Wochen heißt Koh Phangan und ist vor allem als Party-Paradies bekannt. Normalerweise steppt hier besonders im Süden der Insel der Bär. Zu den legendär und damit zunehmend hoffnungslos überlaufenen Full- und Halfmoonparties und Eimerbesäufnissen im Rahmen von überall angebotenen Barhopping-Events verirren sich jedes Jahr tausende Feierwütige hierher und bescheren den Einwohnern zwar allmorgendlich vollgekotzte Strände, aber auch Einnahmen, von denen manche Landsleute nur träumen können.
Jetzt wirken die Partymeilen gespenstisch leer und mitleidig beobachten wir am Hauptstrand Haad Rin, wie die Feuershow eines Barangestellten vergeblich um die paar versprengten Spaziergänger buhlt, während aus den Boxen ohrenbetäubender House schallt, als wäre nichts gewesen.
Trotz Corona scheint es jedoch, als würde immernoch gut die Hälfte der Insulaner aus Westlern bestehen, die sich zum Teil im Norden der Insel eine Parallelgesellschaft geschaffen haben, die wiederum der Esoterik, Yoga, Meditation und dem Sich-in-Ekstase-tanzen frönt. Für derlei Hedonismus bleibt neben unserem Online-Deutschunterricht aber leider wenig Zeit. Wir gehen mehr oder weniger fleißig zum Muay Thai (Henriette mehr, ich weniger), erkunden mit unseren Villa-Mitbewohnern Kai, Justine, Jules und Manu entweder die nächste Strandbar oder den besten Food-Market und helfen Kleaw, die in der Zwischenzeit ebenfalls auf der Insel angekommen ist und in Zusammenarbeit mit einem Amerikaner einen natural-building-Workshop gegeben hat, sich von diesem nicht über den Tisch ziehen zu lassen.
Doch das verhängnisvolle Datum, der 26. September, an dem alle Ausländer ohne Aufenthaltstitel ausreisen müssen, rückt immer näher. Warum die thailändische Regierung die schon mehrfach verlängerte Erlaubnis, ohne offizielles Visum im Land zu bleiben, nicht nochmals verlängert, bleibt unverständlich. Sämtliche Tourismus-Komitees verweisen auf den Niedergang des so wichtigen und ohnehin stark angeschlagenen Wirtschaftszweigs. Auch auf Koh Phangan geben immer mehr Geschäfte auf, auf der benachbarten Schnorchel-Insel Koh Tao kann man durch verwaiste Resorts streunern, in denen das Poolwasser noch frisch ist. In den letzten Tagen vor dem 26. sind die Immigrationsbehörden hoffnungslos mit Last-Minute-Anträgen von Leuten überlastet, die noch versuchen, das so genannte “Educational-Visa” zu bekommen, mit welchem eine Aufenthaltsgenehmigung von bis zu 6 Monaten möglich ist.
So verlockend die Aussicht auch ist, uns mit unseren Online-Jobs die Zeit in angenehmem Klima und mit einem Südfrüchte-Cocktail in der Hand zu finanzieren, entscheiden wir uns gegen diese aufwändige Prozedur und dafür, die Rückreise anzutreten. Wir haben das Gefühl, lange genug auf eine Besserung der Reisesituation gewartet zu haben. Nach 6 Monaten ist es Zeit für eine Veränderung. Unsere eigentlich nächsten Ziele Laos, Vietnam, Kambodscha und später Australien werden auf absehbare Zeit keine Touristen ins Land lassen.
Und so heißt es am 23. September für uns: tschüss 5€/Nacht-Unterkunft mit Pool, Schnorcheln im Korallenriff, Planschen im Badewannenozean, tschüss Pad Thai, Drachenfrucht und frische Mango, tschüss schön-mitm-Roller-rumfahrn – kurz: tschüss Thailand. Du warst ein schöner Ort, um Corona zu ertragen und zu vergessen!
Und so sitzen wir nun also schon zum zweiten Mal auf dieser Reise in einem Flieger, obwohl wir es ohne schaffen wollten. Und so sehr ich die Fliegerei auch verdamme, so fasziniert bin ich doch auch wieder jedes Mal von ihr. Während die Außentemperatur -52° beträgt und wir mit 950 Stundenkilometern in 10 km Höhe durch die Nacht ballern, ist Henriette neben mir schon längst in noch anderen Sphären und ich verfolge auf dem Monitor vor mir unsere Route, die über Orte führt, durch die wir auf dem Hinweg reisten. Zunächst geht es über Kalkutta, wo wir den vorletzten Flug nach Thailand erwischten, dann über Jaipur, Amritsar und Islamabad. Über Mashad im Nordosten Irans (der letzten Station vor einem skurril bedrückenden Turkmenistan), Baku und Georgien schlafe ich, aber als wir die Türkei erreichen, bin ich wieder wach und kann beim Blick aus dem Fenster die Schwarzmeerküste sehen, an der wir vor 15 Monaten entlang trampten. Über Sinop meine ich sogar, unseren damaligen Campingspot ausfindig machen zu können und werde fast ein bisschen sentimental. Es geht zurück. Unser spätestens in Indien formuliertes Ziel, einmal die Welt zu umrunden, ist fehlgeschlagen, aber wer weiß: vielleicht raffen wir uns nochmal auf, wenn es einen Impfstoff gibt oder so.
Jetzt also Griechenland, denn seien wir mal ehrlich: das deutsche Schmuddelwetter kann noch warten. Über unsere frustierenden Versuche, das Trampen wieder aufzunehmen, seid ihr ja schon im Bilde, ansonsten lässt es sich aber hier außerordentlich gut aushalten. In Athen lassen wir uns die Klassiker der griechischen Küche mit reichlich Wein reichen und treffen Matheo und Kristina wieder, die vor uns Kleaw’s Projekt in Thailand bevölkerten und uns jetzt mit großem Elan durch die Stadt führen.
Nach anderthalb Wochen brechen wir aber wieder auf. Auf Dauer wird uns das hier zu teuer. Mit dem ökologischen Bauernhof von Giorgus und Katharina auf Evia haben wir wahrscheinlich das typische workaway-Projekt gefunden. 3 Autostunden von Athen entfernt besteht unser Alltag fortan damit, für das kulinarische Angebot der ansässigen Ziegen, Schweine und Hühner verantwortlich zu sein und ihnen dafür etwas Milch und Eier abzunehmen. (Die Schweine lassen bei diesem Handel auch mal ihr Leben, aber damit haben wir glücklicherweise nichts zu tun.)
Auch Gemüse geerntet werden muss häufig und reichlich, denn neben dem Verkauf in einem Kiosk an der angrenzenden Straße bietet Giorgus auch Gemüsekisten in der nächst größenen Stadt Chalkida an. Ich glaube, er ist wirklich ein sehr guter Farmer, möchte man sich doch jede Erdfrucht am liebsten selber in den Mund schieben, so lecker sehen seine Tomaten, Gurken, Paprika, Bohnen, Zuccini, Melonen und und und aus.
In der Mittagspause laufen wir die 15 Minuten zur nächsten Taverne, die zwar geschlossen hat, aber kostenloses Wifi bietet, auf dass wir uns mit der Welt verbinden und ihr die deutsche Sprache näher bringen können.
Und nachts leuchten die Sterne so schön wie noch nie.