Unser imaginäres UFO ist gelandet. Wir betreten neues, unbekanntes Terrain und beginnen unsere Entdeckungsreise entlang einer langen breiten Straße, die selbst in der Ferne kein Ende zu finden scheint. Milchig, verschwommen sind ein paar Bergspitzen am Horizont zu erkennen.
Ausschließlich Autos mit weißer Karosserie, die von unsichtbarer Hand in Zaum gehalten werden, schleichen langsam und vorsichtig an uns vorbei. Alte, gebückte Mütterchen befreien mit ihren Besen aus zusammen gebundenem Reisig die Schnellstraße am Rand von Staub und Dreck.
Wo sind wir?
Vor uns prunkvolle, grazile weiße Laternenmasten. Achja und die weißen Bushaltestellen. Farblich abgestimmt, dazu ganz klar die weißen Mülleimer mit güldenener Note. Weiß scheint hier eindeutig im Trend zu liegen, denn auch die uns umgebenen Bauten sind mit jenem Farbton beschmückt. Rund 500 von ihnen sind sogar aus hellem Marmor erbaut. Alles Erschaffene scheint hier in Reih und Glied, gleichmäßig hintereinander versetzt und manchmal hoch zum Himmel aufstrebend. Symmetrie scheint in der Stadtplanung ein wichtiges architektonisches Element gewesen zu sein.
“Wie wäre es mit ein bisschen Grün?”, denken wir uns, betreten die öffentlichen Gärten und zählen die unzähligen Springbrunnen. Doch neben all den großen und kleinen Fontänen und Wasserspielen ist niemand sonst zu sehen. Niemand der ca. 800.000 EinwohnerInnen, die diese Orte aufsuchen, um Freunde zu treffen oder ein bisschen in der Sonne zu baden. Irgendwie komisch! Sind wir etwa in der Truman Show gelandet? Wir fühlen uns wie unter einer Käseglocke auf der Suche nach Leben. Aber vielleicht sind einfach alle auf Arbeit oder anderweitig beschäftigt?
Wir ziehen weiter.
Doch, da ist doch wer: ein Ordnungswächter mit einem Kollegen! Sie scheinen wohl nicht grundlos hier herum zustehen. Keine Menschenseele außer uns ist zugegen. Lediglich in den Beeten entdecken wir einige GärtnerInnen auf der Suche nach wildem Kraut. In der Ferne steht noch mehr Mensch in Uniform. An den nicht vorhandenen BesucherInnen kann es offensichtlich nicht liegen. Und auch keiner der 1995 TeilnehmerInnen der längsten Fahrradparade, die es hier im Juni diesen Jahres ins Guinnessbuch der Rekorde schaffte, ist auf seinem Gefährt zu sehen, um kontrolliert zu werden.
Wir ziehen weiter.
Weitere Polizisten streifen unsere Wege. Unser Bauchgefühl ist weiterhin ein mulmiges. Vor uns erstrecken sich weitere weißen Bauten, erinnern nun an Paläste früherer Könige, nur wirken sie gleichzeitig überaus neu! Breite Alleen, die sich ihren Weg zu den Residenzen des thronenden Oberhauptes bahnen! Ein Denkmal mit trabenden goldenen Pferden können wir zwar bestaunen, dürfen es aber nicht fotografieren, wie uns ein Officer im blitzblanken Streifenwagen ermahnt.
Wir ziehen weiter.
Doch auch hier sind die Straßen so leer wie die Parkanlagen zuvor. Keine Autos weit und breit. Nur einer ist wieder da. Der Polizist. Diesmal werden wir hektisch gestikulierend aufgefordert unseren Spazierschritt zu beschleunigen. Wir sind verwirrt. Und lassen uns letzten Endes tatsächlich zum Stechschritt überreden. Geradeaus und dann die Straßenseite wechselnd. Warum das alles? Verstanden haben wir es bis heute nicht.
Der Prunk der Gebäude begleitet uns weiter und hört nicht auf, uns mit immer mehr Argwohn zu begegnen. Diese Leere ringsherum und das beklemmende Gefühl lässt uns dabei auch nicht los. Wo sind wir hier gelandet?
Na klar, im Regierungsviertel der Hauptstadt Turkmenistans, in Ashgabat! Nur wer spielt hier den König?
Es ist ein besonderes Oberhaupt, von dem wir bereits vor unserem Besuch von John Oliver in seiner Sendung “Last Week Tonight” Kurioses vernehmen durften.
Neben seiner Vorliebe für Einträge ins Guinessbuch der Rekorde, von denen einige auch in der zuvor dargebotenen Beschreibung zu Ashgabat wiederzufinden sind, hegt der 62-jährige Gurbanguly Berdimuhamedow auch eine leidenschaftliche Schwäche für die Achal-Tekkiner Pferderasse, die sich nicht nur in der städtischen Architektur, sondern auch auf Einkaufstüten, im Emblem der Landesfahne und in einem eigens geschaffenen turkmenischen Feiertag wiederfindet. Weniger unterhaltsam ist allerdings die Tatsache, dass dieses kleine Land auf der diesjährigen Rangliste der Pressefreiheit nach Angaben von Reporter ohne Grenzen den letzten Platz belegt. Auch eine sich dem Präsidenten entgegen stellende Opposition wird nicht geduldet.
Nach unserem ersten Spaziergang durch die Hauptstadt verbringen wir unsere erste Nacht bei Aslahn und seiner Familie. Wir sind glücklich, zumindest einen kurzen Einblick in das Leben der Menschen vor Ort zu erlangen. Wir erfahren über die Zeit seiner Eltern in Berlin aus einem kleinen Fotoalbum und erhalten noch ein Gute-Nacht-Süppchen, bevor wir in den Schlaf fallen.
Das Fernsehprogramm am nächsten Morgen schlägt allerdings auf den Magen und erinnert uns erneut an den gemächlichen Verkehr auf turkmenischen Straßen. Wir müssen beim Frühstück erwachsenen Männern mit Handschellen dabei zu sehen und zu hören, wie diese öffentlich wimmernd und gebückt Abbitte für zu schnelles Autofahren und andere meist kleinere Vergehen leisten. Im Hintergrund sehen wir einen prächtigen Saal gefüllt mit Regierungspersonal und einheitlich gekleideten “Journalisten” , akribisch mitschreibend, was die Angeklagten zu ihrer Verteidigung vorzuweisen haben und auch der Präsident ergreift zwischenzeitlich das Wort.
Unser Gastgeber schaut eher teilnahmslos zu. Auf unser Nachfragen antwortet er zögerlich und ausweichend. Wir haben das Gefühl, die Angst vor dem restriktiven Staatsapparat drückt sowohl seine Stimmung als auch Haltung.
Für unsere zweite Nacht entscheiden wir uns, der Stadt den Rücken zu kehren. Das unter Durchreisenden und Einheimischen allseits bekannte “Tor zur Unterwelt” möchte auch von uns bestaunt werden.
In der Wüste Karakum, nahe der Ortschaft Derweze, stoßen Geologen 1971 bei der Suche nach Gasvorkommen auf eine mit Erdgas gefüllte Höhle. Diese kollabiert unter den Bohrungen und ein kreisrunder Krater entsteht, aus dem aus unzähligen Lecks giftiges Methangas strömt. Da die Umweltschäden verbrannten Gases niedriger sind, entscheidet man sich zur Abfackelung und hofft, der Spuk wäre nach einigen Tagen vorbei. Heute brennt der Krater seit fast 50 Jahren.
Nach einigen Stunden Autofahrt von Ashgabat, dem Sonnenuntergang entgegen, ist es schließlich soweit. Windhosen umkreisen das 70 Meter breite Feuerloch, wie auch unser Zelt, welches wir in sicherer Entfernung aufgestellt haben. Wir bestaunen das Flammenschauspiel gemeinsam mit zwei anderen Reisenden und fragen uns, ob man wohl einen Ausflug in den 30m tiefen Abgrund überleben würde. Später erfahren wir von dem kanadischen Abenteurer George Kourounis, der diesen Versuch 2013 tatsächlich wagte.
Da dieser Ort schon lange kein Geheimtipp mehr ist, teilen wir uns die Aussicht auf den Krater zwischendurch mit einer angefahrenen Jeep-Karawane weiterer Touristen, die aus ihren Kutschen eilen, schnell ein paar Selfies schießen und wieder davon brausen. Wir denken an diejenigen Geologen zurück, die dieses Feuerloch wohl als erste bestaunen konnten. In Stille und Abgeschiedenheit. Und werden ein wenig neidisch.
Nach einer überaus schleichenden Rückkehr mit einem Truckerfahrer zurück nach Ashgabat machen wir uns bereit für unsere Reise durch die Nacht. Im Schlafwagen soll es von der Hauptstadt nach Turkmenabat gehen und zusammen mit zwei Einheimischen teilen wir uns unsere vier Wände auf Zeit. Auch hier kommt es mit Übersetzungshilfe zu einem Plausch und selbst Nikolas ergattert in der ersten Etage ein Brot mit Wurst. Nach der Darstellung unserer Mitreisenden ganz klar ein Hamburger.
Die schwere Maschine zieht uns durch die Wüste und mit dem Blick nach draußen ziehen wir Resümee über unsere Zeit hier in Turkmenistan. Es waren merkwürdige und verstörende 4 Tage in diesem wunderlichen Land.
Auch Schönes war dabei, zum Beispiel das Meer bunter Kopfbedeckungen und farbenprächtiger Gadroben im Bus durchs Sperrgebiet nach der iranisch-turkmenischen Grenze. Die traditionellen Kleider sind mit ihren individuellen Stickereien eine Augenweide ohnegleichen und hüllen die weiblichen Körper hier in elegante und charmante Alltagsroben. Auch unsere kurzen Unterhaltungen an Bushaltestellen oder in der Bahnhofskantine schenkten uns ein Lächeln und hießen uns willkommen.
Gerne hätten wir mehr Zeit mit den Menschen verbracht, aber etwas erleichtert sind wir auch, als wir die Grenze zu Uzbekistan überqueren und endlich wieder hupende Autos und streitende Menschen hören.