Aufbruchstimmung. We’re on the road again. Johnny Cash’s Poesie flößte uns bereits Jimmy zu seinen inspirierenden Musikmahlzeiten in Ratcha ein und performte selbst die ersten Zeilen, wenn er zur späteren Abendstunde am Lagerfeuer erschien.
Klangvoll folgt ihm das uns kutschierende Partypärchen Nino und Sabbi, gefühlt ohne Tempolimit auf den georgischen Straßen unterwegs, die jenes Lied und noch ganz andere bis zum Anschlag des Volumenometers aufdrehen und uns von Ratcha nach Tiflis mitnehmen.
Das erste Mal seit sechs Wochen sind wir wieder zu zweit. Keine Lotti und kein Piet. Keine großen und kleine Menschen, denen man vertraut in die Augen blickt. Ein bisschen merkwürdig ist das anfangs schon, aber in Windeseile ist es gleichermaßen auch wieder ziemlich schön, zu zweit und unterwegs in neue Gefilde zu sein.
Glenn, ein belgischer Aussiedler, den wir noch von Giorgis Geburtstagsparty in Mlashe kennen, lockt uns am Abend in für uns noch ganz unbekannte Ecken von Tiflis. Mit genussvollem Blick in den Sternenhimmel über den Dächern der Stadt heißt es nun wirklich langsam Abschied von Georgien nehmen.
Am dritten und letzten Städtetag schlendern wir zum wohl einzigen Briefkasten in ganz Tiflis, schicken ein paar Zeilen in die Welt und begegnen auf den Brücken und Straßen noch einmal den vielen älteren Menschen der Generation unserer Großeltern, die einige wenige Habseligkeiten und Raritäten auf kleinen Deckchen oder Schachteln den Schlenderern im Schatten der prallen Sonne schmackhaft machen wollen. Mit den wenigen Einnahmen scheinen die Gedanken der VerkäuferInnen hier viel mehr um das Sichern der eigenen Existenz zu kreisen und nicht wie bei uns um die Reduzierung des Kleidungsbestands.
Wir verlassen mit dem Bus die gefüllten Straßen und werden vom Stadtrand nach und nach von netten Erdbewohnern im Auto und Truck in Richtung Azerbaidschan mitgenommen. Der schüchterne Georgier Giorgi, alias Michael Schumacher, zeigt uns, mit sicherer Hand am Schaltknüppel, wie sein Motor bei hoher Geschwindigkeit nur so schnurrt und wir landen schließlich an unserem letzten Schlafplatz in Georgien. In sicherem Abstand zum miefenden Flussufer auf staubigem Untergrund, können wir den Sternenhimmel durch unser Innenzelt betrachten und werden am Morgen vom Rauschen der Blätter geweckt.
Das am Vortag am Straßenrand erstandene Ei versüßt uns das morgendliche Speisen und nach einer kurzen musikalischen Einlage von Bella Ciao auf der Ukulele sitzen wir zwei Glückskekse in unserer nächsten Mitfahrgelegenheit und erreichen schon bald nahe Lagodechi die Grenze zu Azerbaidschan.
Fix und ohne Probleme können wir bald die neuen Stempel in unseren Pässen entdecken und erkennen alsbald ein interessantes Feature des Landes: Ladas. Die meist noch in der Sowjetunion gebauten Autos prägen hier sichtbar das Straßenbild.
An einem Taxistand in Zaqatala bildet sich zu unserer Überforderung in Windeseile um uns eine stattliche Traube interessierter Männer. Zwei taubstumme ältere Herren erbarmen sich und nehmen uns in ihrem – natürlich – Lada mit. Der Sohn mit uns auf der Rückbank untergebracht, reguliert mit einer kleinen Fernbedienung die Lautstärke der nachträglich eingebauten Boxen, die in keinem der alten Gefährte fehlen dürfen, und die beiden Herren auf den vorderen Sitzen gestikulieren mit so kraftvollen Gesten, dass bei Nikolas zwischendurch der Eindruck entsteht, es könnte für uns lebensgefährlich werden. Nach eingelegtem Stop für ein paar Selfies fährt uns das Trio kreuz und quer durch Sheky, um uns einen guten Platz zum Weiterkommen zu sichern. Sie bleiben uns ganz liebenswert in Erinnerung.
Erster Glücksgriff am nächsten Tag ist Orhan. Unser Tagesziel liegt genau auf seiner Strecke. Beim Blick aus dem Fenster sehen wir immer wieder ausgetrocknete Flussbetten, die in flache und relativ karge, unbewohnte, weite Landschaften übergehen. Wir erfahren, dass der September und das Ende des Sommers den Regen und die Flüsse zurückbringt und sind beruhigt, dies zu hören. Doch neben Busch und Baum sieht man des Öfteren auch dem früheren Präsidenten von Azerbaidschan auf den vielen großen Plakaten in die Augen. Da er nicht lächelt macht dieser Anblick nicht sonderlich viel Freude. Auch die Ahndung von Verkehrsdelikten scheint uns etwas zweifelhaft, wie auch Orhan, der für das Überholmanöver bei durchgezogenener Linie vom Polizisten um etwas Taschengeld gebeten wird. (“Azerbaijan police is different to German police”)
Mit einer geschenkten Melone in unseren Händen verabschieden wir einander in Şamaxı, um kurze Zeit später im Geländewagen von Ruslan zu sitzen. Aus einer kurzen Frage nach einer Empfehlung für einen einfachen Imbiss, finden wir uns zu dritt im 5-Sterne-Märchenhotel-Restaurant in den Bergen im Nirgendwo wieder, wohl gemerkt total underdressed, und riskieren vorsichtig einen Blick in die Speisekarte. Die Preise können wir gerade noch so verkraften und so verzehren wir ein unglaublich gutes Mahl in netter Begleitung. Während wir den in sehr viel Butter geschwenkten Reis mit getrockneten Früchten und Nüssen verzehren, erzählt uns Ruslan derweil von seinem Beruf als Feuerwehrmann und seinem heutigen zweiten Urlaubstag nach 18 Monaten Arbeit.
Da es für die Schlafplatzsuche eigentlich noch zu früh ist und auch Ruslan nicht genau weiß, was er mit der ganzen vor ihm liegenden freien Zeit anfangen soll, unterbreitet er uns den Vorschlag, gemeinsam ein wenig die Natur Azerbaidschans zu entdecken. Zu mal wieder voll aufgedrehter Rapmusik starten wir in die Berge, probieren am Straßenrand unsere ersten Qutab (dünn ausgerollter Teig gefüllt mit Hammelfleisch, gebacken auf gewölbter Gusseisenplatte) und zählen während der Fahrt durch die Berglandschaften die vielen Schafe mit ihren Hirten. Mit geschärftem Blick geben dabei auch die Jurten wie kleine blaue Punkte in der Landschaft ihre Existenz preis. Gern würden wir hier oben übernachten, aber da hier nur wenige Autos unterwegs sind, wollen wir lieber einen Platz außerhalb von Şamaxı suchen. Ruslan hat jedoch andere Pläne und überrascht uns mit einer von ihm im Moment nicht genutzten Wohnung. Wir sind hin und weg und nehmen dieses unschlagbare Angebot ohne mit der Wimper zu zucken an.
Wir schlafen gut und bedanken uns mit selbst gemachten Eierkuchen am Morgen zum Frühstück bei unserem Gastgeber.
Nach kurzem Abschied am Straßenrand wollen wir es zu Rauf, unserem Couchsurfer aus Khirdalan, einem Vorort von Baku, schaffen und erleben zum ersten Mal die Wirren des azerbaidschanischen Autoverkehrs. Der wichtigste Bestandteil eines jeden Autos ist hier die Hupe und wir sind einfach nur sehr glücklich, als wir unser neues Nest beziehen dürfen und ankommen.
In den fünf Tagen in Khirdalan bekommen wir die Möglichkeit, ein wenig einzutauchen ins Familienleben von unserem Gastgeber. Raufs Mutter verwöhnt uns mit ihrer Gastfreundschaft in Hülle und Fülle. Sie erinnert uns mit ihrer Rastlosigkeit und körperlichen Stärke an so manch anderes älteres Familienmitglied auf unserer Reise und hinterlässt eindrücklich ein paar schöne Spuren in unseren Köpfen.
Anschaulich werden wir kurzerhand auch über das anstehende Islamische Opferfest Kurban Bayram aufgeklärt. Der Vater hält seine zwei scharfen Messer bereit und der von ihm auserwählte junge Hammel wird im Garten geopfert.
[Mit umgerechnet 75€ für solch ein Tier ist dieses Ritual für viele AserbaidschanerInnen ein ziemlich teures Glaubensbekenntnis.]
Im Vergleich zu diesen alten Riten und den mit Ruslan erkundeten Berglandschaften im Norden Azerbaidschans erleben wir die aus den Ölschätzen erbaute moderne Stadt Baku, die am niedrigsten gelegende Hauptstadt der Welt, als eine Stadt des radikalen Gegensatzes.
Mit den riesigen Bauten aus Glas, in denen sich die vielen anderen Wolkenkratzer mit ihren edlen und aufstrebenden Silhouetten betrachten können, werden wir als Besucher in dieser Stadt am Abend von den vielen Lichtspielen auf den Fassaden der Fußballstadien und Wahrzeichen der Stadt, den Flametowers, in eine ganz andere, surreale Welt gezogen. Wir sollen wohl verzaubert werden.
In den nächsten Tagen schweift unser Blick des Öfteren hinaus aufs Kaspische Meer mit in der Ferne zu erkennenden Bohrinseln. Wir erfahren noch ein wenig mehr über den alten Stadtkern, der allein mit 4 Unesco-Weltkulturerbe-Stätten aufwarten kann.
Doch langsam merken wir. Wir haben genug. Sehenswürdigkeiten und Strandmomente haben unsere Tage gefüllt. Immerhin gibt es ein Wiedersehen mit Jan und Franni, die uns bei einem Ausflug zu den Schlammvulkanen nach Qobustan für einen Tag aus der Großstadt entführen.
Wir denken erneut an Johnny Cash und unser Herzen und Füße sehnen sich nach Straße und Trampen. In den Iran. Durch die tägliche Lektüre über dieses Land fühlen wir uns bereits in diesen Tagen in eine aufgeregte Stimmung versetzt. Doch das Visum lässt auf sich warten. Wir hängen fest, schlagen uns die verbleibende Zeit um die Ohren und hoffen auf baldiges GO in den nächsten Tagen.
P. S.
Das war übrigens unser erster Eindruck von Azerbaidschan, der uns noch in Georgien zugespielt wurde…
Glücklicherweise fanden wir später heraus, dass es auch derlei Musik gibt…