Zu dritt durch Indiens Süden

25. Januar 2020. Der neue Morgen in Vattakanal lädt zum vorerst letzten Frühstück im Trio, bevor sich unsere Wege nach langer Zeit wieder trennen.
Vor knapp 7 Wochen treffen wir auf Christian, von seinen Freunden auch liebevoll Mölli genannt. Der Berliner Jung ist, wie auch wir, zwischen Wellen und Sand in Agonda, im Bundesstaat Goa, auf der Suche nach ein paar ruhigen und entspannten Tagen unter der indischen Sonne und wir sind uns beim Schnack am Strand gleich sympathisch. Zusammen mit Coralie, die im gleichen Dschungelnest, indem auch wir Unterschlupf finden, nächtigt, erleben wir an jenen Tagen so manches Abenteuer auf den hier als Scooties (Roller) bekannten Transportvehikeln. Neben verlassenen Stränden, an denen auch ein Tom Hanks wie im Hollywoodstreifen „Cast away“ hätte stranden können, bemerken wir zudem schnell die gemeinsame Vorliebe des Speisens und Probierens.

Mit der Regionalbahn nach Agonda.

Da wir einander mögen und es uns alle weiter entlang der Küste zieht, reisen wir als Vierergespann für die weihnachtlichen Feiertage nach Gokarna, im Bundesstaat Karnataka, weiter. Hier verbringen wir, umgehen von einer heiteren Schar von RentnerInnen (wir erwarteten viel mehr Hippies – junge Hippies) und jungen InderInnen das christliche Fest, über das lediglich die vereinzelt zu findenden roten Mützen auf Kinderköpfen und die Krippen mit Nashorn, Elefant und bunten Lichterketten Aufschluss geben. Unsere Alternative zu festlichem Braten und weihnachtlichen Plätzchen sind u.a. die auf den Speisekarten zu findenden „Chocoballs“, die uns täglich aufs Neue beglücken und dessen Zubereitung wir nur allzu gerne mit den süßen Schelmen unter euch teilen.

– Indian Chocoballs –

Man nehme:

  • Butterkekse
  • Butter
  • Milch
  • Kakaopulver
  • Kokosraspeln

Da mich der Koch nur kurz über seine Schulter schauen ließ, muss bei den Mengenangaben der eigenen Erfahrung vertraut oder ein erfahrener Assistent oder eine Assistentin zu Rate gezogen werden. Die Konsistenz betreffend, kann sich an den in unseren Gefilden als „Energyballs“ bekannten Bällen orientiert werden.

Aus viel macht eins – so gehts:
Butterkekse mit vorhandenem Küchengerät oder eigener Körperkraft zu Pulver verarbeiten. Dieses dann mit sehr weicher Butter, Kakaopulver und Milch zu einer schlonzigen Masse verarbeiten und mit Lust und Laune zu kleinen und großen Kugeln formen. Den letzten Schliff verleihen dem Endprodukt die Kokosraspeln, in denen der Chocoball gerne auch frivol und unermüdlich gewälzt werden kann. Je nach gusto.

Tipp: Besonders lecker sind die süßen Bälle, wenn sie mit warmer Milch zubereitet und gleich darauf verputzt werden.

Mit jener Schlemmerei vergehen die herrlich faulen Tage wie im Flüge. Mittagsschläfchen werden zum täglichen Ritual, wir verschwinden immer wieder wie kleine Leseratten in den Welten unserer Lektüren und genießen die Vorzüge des Strandlebens mit täglichen Erholungsauflügen ins salzige Nass. Auch das Universum überrascht uns mit einer 90-prozentigen Sonnenfinsternis, die es mitten am 2. Weihnachtsfeiertag dunkler um uns werden lässt und die viele Hindus zum Anlass für ein heilendes Bad im Meer nehmen.

Zum Jahresumschwung machen wir uns dann zusammen mit Christian auf den Weg ins Landesinnere nach Hampi, einem weiteren touristischen Absteigenest. Es erwarten uns herrliche Reisfelder in strahlendem Grün zwischen Palmen und Felsformationen, die wir beklettern und erklimmen. Aber auch einige Tempel kundschaften wir aus, lernen neben Shiva und Ganehsa weitere Gottheiten wie den affenähnlichen Hanuman kennen und finden ein nettes, kleines Straßenlokal, in dem wir der Großmutter beim Schaukeln der kleinen Enkelin zuschauen dürfen, während wir glücklich und froh unser Abendmahl einnehmen.
Ein langes Tuch ist durch eine simple Konstruktion durch eine Öse an der Decke gezogen und hängt hinab. Mit einer Kuhle fürs Kind und einem Seil zum Ziehen darf auch Christian beim nächsten Besuch die ehrenvolle Aufgabe des Strippenziehers übernehmen.

In der Nacht, in der das neue Jahr beginnt, bestaunen wir auf einem großen Felsen die zwei wohl hellsten und längsten Sternschnuppen seit der Entstehung der Menschheit! und sind erwartungsvoll und neugierig auf das kommende Jahr und den damit für uns verbundenen unbekannten Ländern, Menschen und ihren Geschichten, denen wir hoffentlich auch zukünftig begegnen und zuhören dürfen.

Landschaft in Hampis Umgebung.
Ein Pilger erfreut sich unserer Linse.

Auf unserem Weg in den Bundesstaat Kerala überlässt uns unser Couchsurfer in Bengalore (Karnataka) noch kurzerhand seine Wohnung ganz für uns allein, da er sich gerade selbst im Urlaub befindet. Neben der Erkundung der reich an Konsumtempeln mit großen uns bekannter Ketten für teuren Kaffee oder Outdoorkleidung gezierten Straßen, kaufen wir in den ruhigeren Gassen fernab des Zentrums bei einem Chipsverkäufer eine Auswahl an eigens von ihm frittierten Kartoffeln und Bananen und treffen auf das eine oder andere alte Mütterchen, welches auf robusten Holzkarren Obst und Gemüse zum Verkauf anbietet, sowie auf alte Handwerkskunst in Form von Hand bestickter Kleidung.

Nur Mülleimer sind schwer zu finden und ich laufe etwas hilflos mit meiner Tüte Abfall durch die Straßen, ohne Möglichkeit, diese zu entsorgen. Der Geruch von brennendem Plastik beschreibt nicht selten das hiesige Problem einer fehlenden Müllabfuhr. Dass Deutschland nach Recherchen der taz jährlich ca. 70.000 Tonnen an Kunststoffabfällen zusätzlich nach Indien verschifft, lässt einen nicht minder verärgert und ratlos zurück.
Auch wenn es Bestrebungen von Seiten der indischen Regierung gibt, der hiesigen Plastikflut und im Speziellen Plastiktüten durch ein Ultimatum, was an alle Bundesstaaten Indiens gerichtet ist, bis 2023 vollständig aus dem Land zu verbannen und durch recyclingfähiges Plastik zu ersetzen, Einhalt zu bieten, so haben wir als außenstehende Beobachter und im Gespräch mit anderen InderInnen das Gefühl, dass es weiterhin viel Aufklärung und Zeit für Umgewöhnung von Gewohnheiten braucht. Die Abfallberge am Straßenrand und Verpackungen von Süßem und Chips, welche allzu oft aus den Händen gedankenverloren auf dem Boden landen, begegnen uns alltäglich.

Wir hörten und lasen bereits viel über den mit am südlichsten gelegenen Bundesstaat Indiens, Kerala, welches auch als Land der Kokospalmen übersetzt werden kann.
Auf unserer Zufahrt nach Alleppey, einer Hafenstadt mit stehenden Gewässern im Hinterland, treffen wir auf große Gruppen von Pilgern, deren Dhotis (langes Stück Stoff, von ihnen auch als langer Rock getragen) am Bahnhof in Bengalore zum in der Sonne trocknen an einigen Zugwagons hängen. Gefüllte Päckchen mit Blumen-(Ketten) und anderen Gaben werden auf ihrer jährlichen Pilgerreise in die Berge zum geweihten Tempel Sabarimala getragen, einem der größten Wallfahrtsziele Indiens mit mehr als 40 Mio. BesucherInnen pro Jahr. Auch wenn es Frauen jeglichen Alters durch ein Gesetz von 2018 nun auch gestattet sein soll, diesen Tempel zu besuchen, sehen wir ausschließlich Männer und hören auch von starken Protesten Konservativer, die dieses Gesetz wieder kippen wollen.

In Alleppey selbst werden wir von vielen leuchtenden Augen und beglückender Freundlichkeit empfangen. Unter Einfluss der portugiesischen Kolonialgeschichte finden sich hier viele alte, kleine Kirchengebäude. Doch auch bunte und reich verzierte hinduistische Tempel und Moscheen, die uns mit ihren Gebeten bei Spaziergängen zum Strand begleiten, bekommen wir zu Gesicht. Gerade im Bundesstaat Kerala ist der Anteil der muslimischen Bevölkerung im Landesvergleich mit 27% relativ hoch und doch haben wir das Gefühl, dass die Bevölkerung hier bezüglich ihrer diversen Glaubensrichtungen einander genügend Akzeptanz und Respekt schenkt, um ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten.

Auch begegnet uns nicht selten Hammer und Sichel auf Plakaten oder als kleines Denkmal im Grünen, während wir mit den lokalen Fähren die Gewässer der Stadt bereisen. Grund dafür ist die kommunistische Partei CPI, die abwechselnd mit den Sozialisten Kerala seit Indiens Unabhängigkeit regiert und vielleicht auch dazu beigetragen hat, dass es hier im landesweiten Vergleich die geringste Korruptionsrate vorzuweisen gibt.

Während Nikolas in den nächsten Tagen seinem widerspenstigen Halskratzen den finalen Kampf ansagt, treffe ich erneut auf Köchin Saphina, die mir auf Nachfrage erlaubt, sie noch einmal persönlich in der Küche ihres Restaurants am Strand zu besuchen. Die in ganz Indien zu erwerbende Brotware Paratha, die zu Dhal und vielen anderen Speisen gereicht werden kann, möchte ich heute selbst einmal zubereiten. Mehl, Wasser und Ei sind rasch zusammengeführt und auch das Kneten ist vollbracht. Doch nach dem Portionieren und Ausrollen des Teiges beginnt Saphina den Teig über ihrem Kopf wie ein Lasso mit einer speziellen Technik zu drehen und mit voller Wucht auf die Arbeitsfläche zu klatschen. In irrsinnigem Tempo wiederholt sie jenes Kunststück für einige Male. Meine Versuche enden mit einem eher niedergeschlagenen, traurigen und zerlöchtertem Teig, der seinen Weg im Vergleich nur langsam und unbeholfen zurück auf die Küchenplatte findet. Und dennoch kehre ich mit ein paar wenigen geglückten Paratha für Christian und Nikolas zurück in unser nächtliches Schlafquartier und verweile in Gedanken für ein paar weitere Tage ein wenig verliebt in Saphina, in ihr Lächeln und ihre Gastfreundschaft. Sie steht für uns stellvertretend für die Mentalität des Südens, welche sich durch eine entspannte, besonnene und aufrichtige Herzlichkeit ihrer Bewohner auszeichnet.

Nachdem wir alle drei wieder gut zu Fuß sind, begeben wir uns in die Berge. It’s teatime! Es geht ins kleine Örtchen Munnar, wo schon seit den 1880er Jahren Tee angebaut wird. Durch Zufall lernen wir zwei junge Inder kennen, Anas und Nasin, die uns kurzerhand mit in die Natur nach Kolukkumalai nehmen. Dort treffen wir auf ihre ulkigen Freunde, wie Albert und Jobi, mit denen wir uns gemeinsam auf Wanderschaft durch die Teeplantagen begeben, während sie dabei ihre neu ergatterten deutschen Wörter, wie den Favoriten aller, „Hallöchen Popöchen“, in herrlichen Variationen zum Besten geben.

Neuinterpretation des von uns gelehrten „Gute Nacht“ und „Hallöchen Popöchen“ 3 Tage später!
Gut gelaunte Teepflückerinnen bei der Arbeit.

Raju, der das Hostel in Munnar leitet (in dem wir endlich wieder einmal unser Zelt aufschlagen dürfen) ist vor zwei Jahren aus dem Norden hier in die Berge gezogen. Er erzählt von den Sprachbarrieren im Austausch mit der hiesigen Bevölkerung und im Speziellen den Handwerkern, die er sich für Arbeiten am Haus organisiert. Da Indien neben Hindi und Englisch 21 weitere offizielle Amtssprachen besitzt, gäbe es hier auch für uns also theoretisch einiges zu lernen. Doch sind wir natürlich hoffnungslos mit der Fülle des Angebots überfordert, die uns einmal mehr zeigt, wie divers dieses Land ist.

In jenem Quartier in Munnar treffen wir auch auf einen Berliner, Mitte 50, der von seinen Reisen durch Indien in den 1980ern berichtet. Zur damaligen Zeit hätte es noch viel weniger motorisierten Verkehr gegeben, es war leiser auf den Straßen, weniger grelle Hupen und saubere Luft. Auch weniger Reisende wären ihm begegnet.
Ende November letzten Jahres haben wir zum ersten Mal Indien betreten und die vielen Hupen der Motorräder, Rikschas, Autos und Busse waren wohl das erste, was uns begegnet ist. Und obwohl wir nun schon über 7 Wochen hier unterwegs sind, tun wir uns noch immer etwas schwer, dieses so große Land mit seinen BewohnerInnen und Mentalitäten zu begreifen und zu verstehen. Es erscheint uns je nach Bundesstaat wie eine ganz eigene Welt, die wir da erkunden. Auch das Angebot der regionalen Speisekarten variiert (auch wenn die 65 wohl überall als Synonym für deep fried, also frittiert, gehandelt wird). Mal ist Alkohol verboten, mal Kautabak. In Tamil Nadu scheint es verbreitet zu sein, Harry-Potter-Filmkompositionen oder andere Melodien als lustige Musik für den Rückwärtsgang von Autos einzuprogrammieren. Und doch ist es der weniger intensive Austausch mit den Menschen von hier, den wir in den anderen Ländern zuvor weitaus stärker genossen haben und der uns hierzulande etwas fehlt. Durch unsere Urlaubstage am Strand, den vielen touristischen Abstechern zu Stränden und Felsen, den bisherigen Verzicht aufs Trampen (Die spottbilligen Zügen und öffentliche Busse sind für die großen Distanzen einfach zu attraktiv. Trampend würden wir für dieses Land Jahre brauchen.) und das häufigere Unterkommen in Hosteln (da es weniger Couchsurfer gibt) sind wir häufiger umgeben von anderen, auch indischen Reisenden, als von Einheimischen.
Doch so bunt wie die Saris der Frauen ist auch Indien mit seinen  BewohnerInnen so farbenfroh und unterschiedlich wie kein anderes Land zuvor und wir nehmen uns im Stillen vor, für den Rest unserer Reise mehr auf den weniger ausgetretenen Pfaden zu gehen.

Doch bevor wir uns wieder gen Norden und entlang der Westküste mit dem Ziel des Nordosten Indiens aufmachen, lässt uns das Landesinnere im Süden noch nicht ganz los. Während unseres kurzen Aufenthalts in Vattakanal verbringen wir mit Christian noch einmal einen wunderschönen Sonnenaufgang über den Wolken und nehmen dann Abschied voneinander. Zu einem gemeinsamen Döner und einem Unionspiel in Berlin haben wir uns schon jetzt verabredet.

Wasserfall in Vattakanal.

Indien: Von dröhnenden Hupen zum rauschenden Meer

Mittags ist der Sand zu heiß, um ohne Sohle unter den Füßen auf ihm zu laufen. Das Meer wirft beachtliche Wellen auf, die sich für den Sound dieser Tage verantwortlich zeigen, wenn sie in sich zusammenfallen und an den Strand rauschen. Wir schlürfen das fruchtige Wasser aus frisch aufgeschlagenen Kokosnüssen und passen bei der Rastplatzsuche auf, dass uns diese nicht auf den Kopf fallen können. Wir sind umgeben von zahlreichen indischen Touristen, aber auch eingeflogenen oder ausgewanderten Hippies aus Europa und russischen Rentnern. Die Strände sind breit, die Preise günstig und das Essen international. Das hier ist Indien, aber vor allem Goa, der Bundesstaat an der Westküste, der komplett auf den Tourismus eingestellt ist. Wir machen Urlaub vom Reisen und genießen es, dass sich unser kultureller Input auf das Probieren exotischer Früchte beschränkt. Endlich sind wir hier. Sind wir des Reisens müde geworden? Auf keinen Fall, aber wir brauchen eine kleine Pause. Und wann wäre ein besserer Zeitpunkt? Es ist Weihnachten. –

Indien wäre jedoch nicht Indien, wenn es auf dem Weg zur Küste nicht einiges bereit zu halten hätte.
Als wir vor gut 4 Wochen in Lahore aufbrechen, erwartet uns an der Grenze nicht nur eine unkomplizierte Aus- und Einreiseprozedur, auch der Schichtwechsel der wachhabenden Grenzsoldaten darf beobachtet werden. An allen 3 existierenden Grenzübergangen zwischen Pakistan und Indien geht dieses Ereignis mitnichten im Stillen vonstatten. Besonders die Ablösung der morgendlichen Schicht ist mittlerweile zu einem Ereignis geworden, zu dem hunderte Zuschauer beider Seiten strömen: durch-choreografiert und publikumswirksam.
Die Zeremonie auf der pakistanischen Seite sehen wir uns noch während unserer Zeit in Lahore an. An einem der kleineren Grenzübergange ist die Atmosphäre hier schon fast intim, man kann den Zuschauern der indischen Seite über den Grenzzaun, welcher sich durch den im Stile einer Arena mit Tribünen zu beiden Seiten gebauten Platz zieht, in die Augen schauen. Man betrachtet sich mit Skepsis, wenn der Blick nicht durch das Geschehen ein paar Meter weiter unten gefesselt ist. Nachdem Einheizer auf beiden Seiten das Publikum auf die zu unterstützende Nation eingeschworen haben, schreiten die überdimensioniert wirkenden Grenzbeamten der pakistanischen Armee zur Tat. Jeder der kunstvoll verzierten Soldaten ist mindestens 2 Meter groß, was uns mit der Frage alleine lässt, ob das nationale Basketball-Team mit Personalsorgen zu kämpfen hat. Pakistan hat sich uns bisher nicht gerade als ein Land der Hünen präsentiert.
Mit ernster Miene werden im Folgenden Beine hinters Ohr geschwungen, die extra verstärkten Schuhsohlen donnernd auf den Zement gehauen, Maschinengewehre durch die Luft gewirbelt. Die in Normalgröße auftretenden Inder tun es ihnen gleich. Zwischendurch steht man sich im Abstand weniger Meter gegenüber und versucht, sich mit eindringlichen Blicken, geschwellter Brust und nachdrücklichem Bärte-Zwirbeln einzuschüchtern. Vor dem Hintergrund des aktuell wieder aufflammenden Kaschmir-Konflikts wirkt das Schauspiel bizarr und man ist fast froh, dass sich die Hauptmänner beider Kompanien als Zeichen des Respekts zwischendurch sogar die Hände schütteln und die Menge nach gut einer Stunde im Guten wieder auseinandergeht.

Die Wagah-Grenze etwa 60 km weiter nördlich ist die einzige für Ausländer geöffnete Grenze und wartet mit dem bekanntesten Spektakel auf. Das Amphitheater kann auf beiden Seiten locker mehrere tausend Menschen fassen. Wir müssen – mittlerweile auf der indischen Seite – auf einer extra Ausländer-Tribüne Platz nehmen. Die Choreographien ähneln den uns schon bekannten, die dröhnende Beschallung und eine Mauer, die nur das Durchgangstor freilässt, lassen uns von der anderen, der pakistanischen Seite aber fast nichts mitbekommen. Oberhalb der Zuschauerränge steht in großen Buchstaben: „Indias First Line of Defense“ und auch ansonsten wirkt das Geschehen heute etwas weniger zeremoniell, dafür martialischer.

Nur ein paar Kilometer entfernt warten Amritsar und unser Couchsurfing-Host Harjit auf uns. Harjit ist Angehöriger der Sikh, einer Religionsgemeinschaft, die ihre Wurzeln im Hinduismus hat. Als ich ihn am Abend nach dem an seinem Gürtel hängenden Spielzeug-Messer frage, erhalten wir eine kleine Einführungsstunde in seine Religion. Jeder Gläubige hat stets einen Dolch am Körper zu tragen, um in Notfällen den Armen beizustehen, aber auch um sich selbst verteidigen zu können. Hatten diese Dolche früher oftmals noch Ausmaße eines Säbels, sind sie heute aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen meist nur noch von symbolischer Größe. Harjit hat Mühe, seinen leicht angerosteten Mini-Dolch aus der Scheide zu ziehen.
Außerdem sei man angehalten, seine Haare nicht zu schneiden. Während sowohl Männer als auch manche Frauen ihr Kopfhaar unter den ebenfalls obligatorischen Turbanen verstecken, können die immer länger werdenden Bärte schon lästig werden, weshalb sie oft mit Klammern oder Haargummis zusammen gebunden sind. Ein weiteres Utensil ist der an jedem Sikh-Handgelenk zu findende silberne Armreif. Er soll den Träger davon abhalten, schlimme Dinge zu tun.
Auch wenn das Heiligtum der Sikh, der berühmte Goldene Tempel, mit seinen großzügigen Ausmaßen und seiner Andächtigkeit zum Innehalten und Energie tanken einlädt, sind wir mit der Stadt überfordert. Immer noch von Magenproblemen gebeutelt, erscheint uns das indische Gehupe noch lauter, die Straßen noch enger und das Essen noch schärfer als in Lahore. Zudem macht uns eine weitere indische Eigenheit zu schaffen. Es kommt zu lautstarken Streitigkeiten im Haus unseres Gastgebers, der zusammen mit seiner Mutter, seinem Bruder und dessen Familie wohnt. Harjit selbst hat erst vor kurzem geheiratet, jedoch eine Frau aus einer niederen Kaste. Das System, dass längst offiziell verboten ist und auch in den heiligen Schriften der Sikh abgelehnt wird, ist im Kopf seiner konservativ erzogenen Mutter noch fest verankert und lässt nun die Kochtöpfe fliegen. Nach 4 Tagen flüchten wir und nehmen den Nachtzug nach Jaipur.

Gute 700 Kilometer später sind wir in Rajasthan angekommen, einem Bundesstaat fast so groß wie Deutschland. In Jaipur nutzen wir die Gemütlichkeit eines schönen Hostels mit Dachterrase, um uns auszukurieren und schon nach wenigen Tagen haben wir wieder Muße, uns erneut auf den Weg zu machen.

Unsere nächste Station heißt Bundi. Als wir abends ankommen und eine Rikscha uns zu unserer Unterkunft in die Altstadt fährt, sind wir begeistert. Hier scheint es noch ruhiger zu sein als in der „Pinken Stadt“. Unser Hostel ist ein historisches Gebäude mit großem Innenhof, in dem unser kleines Häuschen Platz findet, welches aus nur einem Raum besteht. Auf den Flachdächern der Nachbarschaft lassen die Buben Drachen steigen und nur ab und zu ist das Knattern der Motorräder in den Seitenstraßen zu hören. Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg zu einem Aussichtspunkt auf einem nahen Hügel. Neben den allgegenwärtigen Kühen, die – nach Ablauf ihrer besten Jahre von den Bauern in die Städte gebracht – manchmal in der Gegend rumstehen wie bestellt und nicht abgeholt, begegnet uns auch die ermattete Hochzeitskapelle der vergangenen Nacht. Gerade ist Hauptsaison für Eheschließungen und beinahe jeden Abend zieht eine Karawane durch die Stadt, die neben dem Bräutigam und seinen Verwandten auch aus einem Lautsprecherwagen, welcher in ohrenbetäubender Lautstärke Musik abspielt, und Trägern von Lichterschirmen besteht, welche die Festgesellschaft umrahmen. Den Abschluss bildet der Unglückliche, der den uralten Generator ziehen muss.

Als nächstes wollen wir nach Ahmedabad und weil Udaipur günstig auf der Hälfte der Strecke liegt, legen wir einen Stopp ein. Wir erhoffen uns nicht viel und werden überrascht. Die Stadt, die von einer gigantischen Seenlandschaft geprägt ist, versprüht schon fast mediterranes Flair. Wir lassen uns anstecken von der Urlaubsstimmung der zahlreichen Touristen und finden uns wieder in einer perfekt auf deren Bedürfnisse abgestimmten Innenstadt. Cafés und Restaurants reihen sich ein in Wäschereien und Reiseagenturen und natürlich werden all die uns wohl bekannten Indien-Artikel an den Mann und die Frau gebracht: farbenfrohe Tücher und Kleider, Raucherstäbchen und Lederwaren, kunstvoll gefertigte Ketten und Ohrringe, Henna-Bemalung, Yogakurse und Ayurveda-Massagen.
Wir leihen uns einen Roller aus und als wir wenig später bei der Fahrt durch das grüne Umland den Fahrtwind im Gesicht spüren, ist es wieder da, das Sommergefühl, mitten im Winter. Je höher die Temperaturen steigen, desto wärmer werden auch wir mit Indien.

Einmal halten wir dann noch auf unserem Weg zum Strand. Ahmebadad soll tolles Streetfood und eine sehenswerte Altstadt haben. Wir werden von Prakash empfangen, der in einem schicken Hochhaus abseits der Stadt in einer dieser neu gebauten Siedlungen wohnt, die mit ihren sauberen Straßen und bewachten Umzäunungen die Mittelschicht anlocken. Er hat ein ungewöhnliches Angebot für den nächsten Tag. Ein guter Freund von ihm würde gerade einen Online-Bekleidungshandel aufziehen und suche noch ein weibliches Model. Noch am selben Abend fahren wir zu ihm und lassen uns die Kleider zeigen. Sein Ansatz, nur von Hand Gefertigtes anzubieten, überzeugt und am nächsten Morgen dreht Henriette sich im warmen Sonnenlicht vor der Kamera. Die Entrepreneure können keine Bezahlung bieten, sondern laden uns stattdessen in eines der renommiertesten Restaurants zum Tahli-Essen ein. Auf zusammen gesteckten Blättern eines uns unbekannten Baumes werden Curries, Dhals, verschiedene Gemüse, Halwa, Chapati und Buttermilch aufgetischt. Wir sind im Himmel und schmausen bis zur Unbeweglichkeit. Der erste Job auf Reisen hat sich gelohnt!
In den nächsten Tagen entdecken wir die 8-Millionen-Stadt mal mit, mal ohne Prakash. Gandhi hat hier seinen ersten Ashram errichten lassen. Im Gedenken an seine Lehren und seine Enthaltsamkeit ist bis heute Alkoholkonsum für Inder im gesamten Bundesstaat Gujarat verboten. Allein Ausländer können eine Ausnahmegenehmigung beantragen.

Nach 4 Tagen sagen wir unserem netten Gastgeber Lebewohl, der uns noch auf der Fahrt zum Bahnhof von seinem Vorhaben überzeugen will, mit ihm in Goa ein Casinoschiff zu besuchen. Mit Strand hätte er es nicht so… Wir schon, winken wir lachend ab. Nur noch eine 17-Stunden-Zugfahrt trennt uns vom Meer.

Pakistan Teil II: Die Rhythmen der dhol

Ruhig und gelassen schnaubt der stattliche Schimmel die Luft aus seinen Nüstern, während ihm der Sattel noch etwas strammer gezogen wird. Die festlich gestriegelten „Kampfmaschinen“ sind Teil des sich uns dargebotenen Wimmelbildes, auf einem uns noch unbekannten Terrain.
Am Rande des Spielfeldes versteckt sich im großen Durcheinander eine hockende Traube in einheitlicher Robe, womöglich im letzten taktischen Austausch darüber, wie wohl der Gegner in der nächsten Stunde in die Knie zu zwingen ist. Spielfläche, Tribünen und angrenzende Mauern sind gesäumt von einem durchweg männlichen Hutgeschwader. Inmitten von ihnen sichten wir einen jungen Mann mit fein drapierten Kokosnussstücken auf rundem Silbertableau, frohen Mutes, am heutigen Tag ein gutes Geschäft zu machen. Über all ihren Köpfen findet sich auf den Dächern die nächste heranwachsende Generation, die gedankenverloren dem Treiben zusieht oder Fangen spielt.
Unser letzter Tag in Gilgit bietet eine große Portion Unterhaltung. Es geht um den Titel beim lokalen Polofinale: die hiesigen Gastgeber gegen eine Mannschaft von  auswärts!
Der einzigartige Klang der dhol (hiesige Trommel) trifft auf das emsige Treiben des Stimmenmeeres der Zuschauer, eine Flöte begleitet die musikalische Reise und die Besucher überlassen Reiter und Pferd das Feld. Die erste Halbzeit kann beginnen.
Nachdem wir mit unseren Blicken dem Ball in hohem Bogen ins Spielfeld folgen, verlässt dieser sogleich im Geschwirr der Poloschläger erneut unser Radar. Wir entdecken erneut den Schriftzug auf der gegenüberliegenden Tribünenwand: „Die einzige Regel ist, dass es keine Regeln gibt!“, dessen Credo den Spielverlauf erbarmungslos bestimmen wird.

Dieses äußerst schnelle Spektakel hat es wirklich in sich. Sobald sich auch nur eine kleine Lücke im Durcheinander bietet, wird mit dem Poloschläger kräftig ausgeholt und zum Schuss angesetzt. Geht der Schläger zu Bruch, was nicht selten passiert, wird von den in Fülle bereitstehen Assistenten in aller Eile ein neuer bereitgestellt und im Trab überreicht. Beim Eifer um den Ball kann man den Reitern zeitweise sekundenlang dabei zusehen, wie diese über dem Pferd des Gegners hängend oder eng aneinander gepresst, versuchen, mit nötiger Hartnäckigkeit Oberhand über den Ball zu gewinnen. Wir staunen nicht schlecht beim Kampf der Rivalen und haben gleichzeitig Mitleid mit den tapferen Tieren, die nicht selten den Schläger am eigenen Leib spüren.
Während ein anderer Schaulustiger seine Geheimnisse hinsichtlich der lokalen pflanzlichen Viagrawundermittel lediglich mit Nikolas teilen mag, füllt sich das Spielfeld während der Pause erneut. Diesmal schwingen begeisterte Freizeittänzer und Poloenthusiasten mit ihren expressionistischen Tanzbewegungen die eigene Hüfte, die Hände dabei gen Himmel gereckt. Der Boden bebt und das Flöten- und Trommelspiel hält die Masse für weitere Minuten in Bewegung.
Nach einer mindestens genauso intensiven zweiten Halbzeit ist schließlich wohl auch jedes Pferd erleichtert und froh gestimmt, als der Schlusspfiff ertönt.

Auf dem Weg zu unserer Unterkunft schauen wir überraschenderweise in ein uns aus dem virtuellen Netz bekanntes Gesicht. Es ist der Straßenverkäufer mit dem Rauschebart, der wohl für jeden Menschen auf Erden ein Lächeln zu verschenken hat. Auf seine kulinarischen Zaubereien aus seinen großen Töpfen lud er in der Vergangenheit bereits einen Videostar der Plattform Youtube und Freund unbekannter Köstlichkeiten auf eine Kostprobe ein: Mark Wiens mit der wohl schönsten Erwerbstätigkeit auf Erden – kein Mensch probiert so ausdrucksstark Unbekanntes wie Mark! So sind auch wir voller Freude, ihm durch so einen glücklichen Zufall zu begegnen.

Der Mann auf dem Vorschaubild ist der nette Übeltäter.

Doch das Glück wendet sich. Aus Freude wird Schmerz und wir verbringen die nächtlichen Stunden wechselartig mit Krämpfen im Bett oder kämpferisch auf der Toilette. Unabhängig davon, dass so ein unglücklicher Magen wohl nie so richtig ins Leben passt, birgt die 20-stündige Autofahrt am nächsten Morgen nach Islamabad keinen Funken Freude. Die meiste Zeit fühlen wir Schlaglöcher der größten Sorte beim langsamen Überqueren durch die Polster an unseren Körpern und werden darüber hinaus durch das herunter fallende Geröll an den Berghängen auf der Fahrt über die schlechtesten Straßen des Karakoram-Highways in unserem Vorankommen immer wieder gebremst.
Tahir, unser erfahrener und tapfere Mann am Steuer und zufällig auch Couchsurfer aus Islamabad hat nach der ersehnten Ankunft in der Hauptstadt Erbarmen mit uns und lässt uns für eine weitere Nacht in seinem Gästebett ruhen.

Nach 2 Wochen sind wir nun also mal wieder in einer größeren Stadt. Eine Stadt ohne alte Gemäuer oder Jahrhunderte alter Geschichte. In den 1960er Jahren aus dem Nichts erschaffen, übernahm sie nach Karachi im Süden den Posten als Hauptstadt des Landes und gilt heute als die Metropole Pakistans mit den höchsten Lebenshaltungskosten.
Bei meinen ersten Schritten hinaus, auf der Suche nach den Basisprodukten jener Tage wie Toilettenpapier und Wasser begegnen mir ein Dutzend bettelnder Kinder vor modernen Cafés. Der Kontrast zwischen Arm und Reich könnte nicht deutlicher sein. Daneben sehe ich zwischen parkenden Autos zahlreiche Männer, die zu Boden knien und ihr mittägliches Gebet abhalten. Der erste Eindruck hier verwirrt mich und lässt mich leicht verstört ins Krankenzimmer zurückkehren.

Wie schon in Gilgit sind auch hier die pakistanischen Couchsurfer sehr gut miteinander vernetzt und mithilfe von Tahir begrüßt uns für die nächsten Tage ein paar Straßen weiter Amir in seiner IT-WG. Die selbstständigen Softwareingenieure und Grafiker arbeiten für AuftraggeberInnen aus dem Ausland und beginnen wegen der Zeitverschiebung erst in den Abendstunden ihren Arbeitstag, so erklärt er das Bild der überall zu findenden, schlummernden, jungen Leute beim Eintreten in seine Wohngemeinschaft.

Mit weiterhin grimmigen Mägen besuchen wir die Faisal Moschee und verirren uns auf der Suche nach einem WC im städtischen Zoo. Zuvor machen wir unsere erste Bekanntschaft mit frei lebenden Pavianen, die sich die Müllhalden am Stadtrand mit zahlreichen Wildschweinen teilen. Islamabad hat aber auch viel Grün zu bieten und birgt eine schöne Aussicht auf die tropisch erscheinende Hügellandschaft in der Ferne, auch wenn die Stadt darüber hinaus einen eher zusammenhangslosen Anschein, mit seinen meist weit von einander entfernten Wohnbezirken und langen Wegen mit trister Umgebung, macht.

Gemeinsam auf Amirs Moped finden wir den Weg zu seinem favorisierten Süßigkeitengeschäft, während wir an den anderen Tagen als Trio zum ersten Mal auch in der Stadt das Trampen ausprobieren. Amir erzählt uns von seiner Vorliebe für große Frauen und seine Faszination, die Welt zu entdecken. Er wird in den nächsten Wochen für ein Praktikum nach Russland reisen, auf Wodka auch weiterhin verzichten und ganz sicher in den nächsten zwei Jahren ein Frau, ausgewählt von der Familie, zur Ehefrau nehmen. Die Liebe, so sei er sich sicher, komme mit der Zeit schon ganz von selbst.
Seine Neugier und sein jugendlich naiver Charme lässt uns Amir ans Herz wachsen und wir verbringen zusammen eine schöne Zeit, bei der er am Ende nochmal ein paar Details über den für ihn noch unbekannten französischen Kuss erfragt.

Durch Laura, eine gute Freundin aus alten Kindertagen und ihren Mann Ahsan aus Pakistan, die derzeit in Stockholm leben, haben wir das Glück, noch ein bisschen mehr in die pakistanische Kultur einzutauchen und werden überaus herzlich von Javed, Ahsans Vater und seiner Familie, in Wah Cantonment nahe Islamabad empfangen. Wir genießen noch etwas vorsichtig die so schmackhaften Kochkünste, die uns täglich von Kausar, Ahsans Mutter, in Hülle und Fülle dargeboten werden. Aufgrund unserer Anwesenheit bleibt Javed am darauffolgenden Tag seiner Arbeit fern und schlägt sich mit uns tapfer durchs archäologische Museum, für das er sich auf Nachfrage selbst eher weniger interessiert.
Javed liebt es zu erzählen und so erfahren wir umso intensiver um die immense Bedeutung, die der islamische Glaube für ihn und seine Familie hat. Als wir allerdings wissen wollen, welche Meinung er zu der These hat, dass der Islam derzeit die anfälligste Religion für Extremismus ist, bleibt er uns eine Antwort schuldig. Für ihn sind die Terroristen von Al Quaida und dem IS keine Moslems. Ende der Diskussion.
Javed ist auch ein erfolgreicher Geschäftsmann und für all das Glück, welches erfahren hat, hegt er im Gegenzug große Zukunftspläne. Um der geringen Anzahl an Krankenhäuser und der damit verbundenen, schlechten medizinischen Versorgung in Pakistan entgegenzuwirken, will er ein eigenes Krankenhaus bauen, indem auch seine Töchter als Ärzte arbeiten können.

Es ist angerichtet. Im Kreise von Ahsans Familie.
Mit Javed auf dem Lok Mela Festival.

Und dann beginnt auch schon unsere letzte Woche, in einer Stadt, die wir uns an jenen Tagen zusammen mit über 11 Mio. anderen Menschen teilen werden. Eine davon ist Guliafshan.
Die wohl bekannteste Motorradfahrerin in Pakistan begrüßt uns nach unserer Ankunft mit dem Bus auf ihrem BMW-Gefährt mit Helm. Anderen Frauen begegneten wir im öffentlichen Leben zwar auch vereinzelt auf den Straßen und auf den Rücksitzen von Männerhand geführten Zweirädern. Eine Frau, eigenständig bzw. alleine auf einem Motorrad ist im pakistanischen Straßenverkehr allerdings still und ergreifend nirgends zu finden.
Die wenigen, die es versuchen, laufen Gefahr, durch männliche Anfeindungen und  gesellschaftliche Intoleranz im Straßenverkehr bedrängt zu werden.
Auch Guli erzählt von respektlosem Umgang ihr gegenüber auf den Straßen. Doch sie bietet all denjenigen, die sie einschüchtern oder zu bedrohen versuchen, ihre tapfere Stirn.
Guli hat scheinbar unerschöpfliche Energie, nutzt ihre Bekanntheit, um bei angefragten Interviews für Radio- oder Fernsehsendern, die Öffentlichkeit für jenes Thema zu sensibilisieren, mehr Akzeptanz für das weibliche Geschlecht im öffentlichen Raum und generell, das Recht auf mehr Unabhängigkeit zu schaffen.

Die pakistanische Künstlerin Shezil Malik, die ich im Leipziger Museum für Bildende Künste traf, wirbt mit ihrer Kunst für die Gleichberechtigung pakistanischer Frauen.

Da Guli erst vor kurzer Zeit von Islamabad nach Lahore gezogen ist, gehen wir zusammen mit anderen Gästen ihrer Couch auf Erkundungstour in der bekannten Probiermeile im Stadtteil Gawalmandi, wagen uns an in Öl schwimmenden Frühstücksspeisen und besuchen die Wazir Khan Moschee, eine Oase der Ruhe. Dank Gulis Kommunikationstalent können wir sogar einen Blick von oben auf die Stadt erhaschen, sehen auf die vielen anderen Flachdächer und erkennen dabei die Liebe der hiesigen StadtbewohnerInnen zum Federvieh, der bei uns eher unbeliebten Taube.
Das heute als Mädchenschule genutzte, aus dem 19. Jahrhundert stammende mehrstöckige Stadthaus mit Innenhof, auch Haveli genannt, erzählt mit den bunten Pinselstrichen an den Wänden Geschichten aus der vergangenen Zeit der Sikh-Ära und ist wohl die schönste Schule aller Zeiten.
Jene alten Bauten, von denen sich noch viele weitere in anderen Ecken und Winkeln verbergen, befinden sich allesamt im alten Stadtkern der über 2000 Jahre alten Metropole, welche durch die 6 verbliebenen alten Eingangstore Zugang ins Labyrinth der kleinen, geheimnisvollen Gassen bietet.

Am letzten Abend begeben wir uns auf eine spirituelle Reise. Wir besuchen den Madhu Lal Hussain Shrine aus dem 16. Jahrhundert. Der hindustische Madhu La und dem Sufismus zugewandte Dichter Sufi Schah Hussain, stehen mit ihren unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen durch ihre Beisetzung an der gleichen Grabstätte symbolisch für interreligiöse Einigkeit.

Jeden Donnerstag Abend wird hier, wie auch an vielen anderen Schreinen der Stadt, von der Glaubensgemeinschaft der Sufis, der im Islam wöchentliche Feiertag, Jummah, in Form der Dhamal Zeremonie begangen.
Der Sufismus kann als mythische Ausprägung des Islams beschrieben werden, die neben dem täglichen Gebet, durch Meditationen und musikalische Übungen das Ziel verfolgt, ihrem Gott etwas näher zu kommen. Das Ritual des Dhamal kann dabei speziell den Sufis in Pakistan und Indien zugesprochen werden.
Wir kommen den Schlägen der dhol Trommeln näher und neben Platz zwischen Männern mit dunklem Lidstrich und mit Henna gefärbtem Haar, welches verstohlen aus den Turbanen hervorlugt. Entfesselte und enthemmt sich zur Musik bewegende Körper schaffen etwas Geheimnisvolles zwischen dem gedämmten Licht der Öllampen. Die pochenden Schläge der dhol lassen die Anhänger mit ihrer weiten Kleidung manchmal minutenlang um die eigene Achse rotieren, die Köpfe mit ihren langen Haaren in ekzessiver Bewegung, während sie mit ihren Fußrasseln abwesend in den Boden stampfen. Die Meister an den Trommeln versprühen das Gefühl von Leichtigkeit, wenn sie inmitten der pulsierenden Glieder ihre umgehängte dhol in kreisenden Bewegungen in einen Schwebezustand versetzen, ohne dabei die Kontinuität eines gleichmäßigen Rhythmus zu verlieren.
Jener Zustand, den man von außen betrachtet, als eine Art Trance beschreiben könnte, ist bei den Teilnehmenden mit dem Glauben verknüpft, in jenem neu erlangten Bewusstseinszustand in göttlichen Kontakt zu treten und dem eigenen Gott dadurch ein wenig näher zu sein.

Mit diesem Feuerwerk der Farben und Klänge enden unsere 4 Wochen in einem uns zuvor unbekannten Land, welches uns nicht weniger kontrastreich hätte begegnen können. Fragil und zerbrechlich scheint das wieder aufkommende Reiseziel, im Spannungsfeld alter Traditionen und Normen und modernen Strukturen und Lebensweisen.

Durchs wilde Gilgit-Baltistan

Was sofort auffällt, ist, dass wir uns ohne Probleme verständigen können. Jung und Alt spricht hier Englisch, was wohl zum Einen der britischen Kolonialherrschaft „zu verdanken“ ist, andererseits dem vor 9/11 doch recht starken Tourismus entlang des Karakoram-Highways.
Auf diesem wollen wir uns jetzt langsam in Richtung Süden treiben lassen.

Unsere nächste Station nach Sost ist Passu, ein verschlafenes Dörfchen mit herrlicher Sicht auf die Berge, welches vor allem für die von hier startenden Wanderwege zu zwei großen Gletschern bekannt ist. Nachdem uns unsere Mitfahrgelegenheit am Ortseingang abgesetzt hat, werden wir sogleich zum „Cathedral View Hostel“ geführt. Die „Kathedrale“ ist eine Anordnung von Felsspitzen, die sich wolkenverhangen im Halbkreis gegenüber zu stehen scheinen und von gut tausend Metern weiter unten tatsächlich imponieren. Auch 2 Hängebrücken sollen sich in der Nähe über den Fluss spannen. In einer 4-Stunden-Wanderung könnte man beide überschreiten, erzählt uns der junge Herbergsvater. Wir entscheiden, uns zumindest die erste anzugucken und dann zu schauen, ob wir noch weiter gehen wollen. Die Brücke im nächsten Dorf Hussaini ist eine Touristenattraktion, weil sie eine der längsten ihrer Art sein soll und etwas abenteuerlich aussieht. Vorher aber treffen wir noch auf einen Ami, der wie Helge Schneider aussieht, aber nicht ganz so lustig ist. Während wir uns wenig später vorsichtig von einer Bohle zur nächsten bewegen, rennt eine Einheimische an uns vorbei. Ist also doch super sicher hier, das Ganze.
Auf der anderen Seite angekommen, führt ein hübscher Wanderweg den Felsen hinauf. Wir überlegen kurz und entscheiden uns für das verlockende Angebot, auch wenn es langsam zu dunkeln beginnt und wir noch eine Brücke vor uns haben. Wir laufen durch Dörfer, in denen ein Großteil der einfachen Steinhäuser eingefallen ist. Die meisten Einwohner der noch intakten Behausungen sind wohl auch schon dem nahenden Winter entflohen. Ein paar zähe Hirten sind noch da und grüßen uns überrascht. Die paar Kühe, die wir aufscheuchen, suchen hingegen schnell das Weite. Leider schreitet die Dämmerung schneller voran als gedacht und als wir die zweite Brücke erreichen, ist es stockduster. Schritt für Schritt arbeiten wir uns im Schein unserer Kopflampen voran. Tief unter uns rauscht der Fluss und ein Ende ist auch nach 10 Minuten schweigenden Marsches nicht abzusehen. Einige Bretter sind schon so gut wie durch, aber die Stahlseile scheinen noch ganz gut zu halten. Irgendwann sind wir tatsächlich drüben. Jetzt gilt es nur noch den Weg zurück nach Passu zu finden. Es geht wieder hoch hinauf in die Berge und während wir manchmal den Abgrund zu unserer Rechten erahnen, denken wir uns, dass es im Hellen hier bestimmt auch ganz nett wäre. Als wir nach einer weiteren Stunde das Hostel erreichen, warten der besorgte Betreiber und zwei Neuankömmlinge schon auf uns. Bei einem dampfenden Biryani, einem würzigen Reis mit Fleisch und Joghurt, laden uns die beiden ein, ein paar Tage später mit ihnen zu den Fairy Meadows zu fahren. Die „Märchenwiese“ ist einer der bekanntesten Orte in Pakistan. Um ihn zu erreichen, ist man gute 3 Stunden zu Fuß unterwegs, wird dann aber mit einem spektakulären Ausblick auf den Nanga Parbat, den achtgrößten Berg der Erde, belohnt. Eine prima Gelegenheit, denken wir uns, ist die Saison doch so gut wie vorbei und da oben kann uns ein wenig heitere Gesellschaft bestimmt nicht schaden.

Doch zunächst wollen wir uns noch ein wenig an den bunten Tälern erfreuen. Es geht nach Karimabad, einem verschnörkelten Dorf mitten im Hunza Valley. Auch hier sind fast alle Touristen schon ausgeflogen und wir teilen uns die herrlichen Ausblicke nur mit den Dorfbewohnern und zahlreichen Ziegen. Nach 3 Tagen sind wir um einige kulinarische Erfahrungen reicher, haben eine erstklassige Prügelei im Anschluss an ein Fußballmatch vor traumhafter Kulisse miterlebt und haben gelernt, wie man sich mit einem Eimer heißen Wassers duscht.

Unsere nächste Station ist Minapin, nur einige Kilometer entfernt. Von hier kann man in einem Tagesmarsch das Basislager des Rakaposhi, eines weiteren Bergriesen, erreichen. Wir treffen allerdings etwas zu spät ein, was unter anderem daran liegt, dass die überall in Pakistan zu findenden psychedelisch angemalten Laster zwar wunderschön anzuschauen, aber auch mit Abstand die langsamsten Gefährte auf der Straße sind. Um die Fairy-Meadows-Reisegruppe rechtzeitig zu erreichen, müssen wir uns außerdem am nächsten Tag schon wieder auf die Socken machen, also bleiben wir lieber gleich im gemütlichen Guesthouse und lassen uns heißhungrig ein oberleckeres Mutton-Karai schmecken, einen würzigen Schaf-Gulasch.

Am nächsten Tag stehen wir mittags auf der Straße und werden schon schnell von einigen hilfsbereiten Pakistani nach Gilgit mitgenommen, der quirligen Provinzhauptstadt der „fünften“ Provinz Pakistans Gilgit-Baltistan. Offiziell ist diese Provinz gar kein Teil Pakistans, auch wenn es meistens den Anschein macht. Doch obwohl die nördlichste Region des Landes wegen seiner spektakulären Landschaft die meisten Touristen anlockt, haben seine Einwohner keinen Vertreter in der pakistanischen Regierung. Die Provinz ist „Sonderterritorium unter Bundesverwaltung“ und gehört zur umstrittenen Region Kaschmir. Wie auch immer, in Gilgit angekommen, trinkt Henriette erstmal einen Tee und ich pfeife mir einen Cheeseburger rein. Wenig später lernen wir unseren ersten Couchsurfing-Host in Pakistan, Moin, und seine Familie, die aus seinem Bruder Salman Khan, seiner Mutter Gulbibi und der sehr niedlichen Großmutter Bibischa besteht und die am Rande der Stadt in einem einfachen, aber großzügig angelegten Haus lebt, kennen. Wir haben einen lustigen Abend miteinander, doch die Nacht wird für mich zur Tortur. Anscheinend hat mir der noch nicht mal leckere Burger die erste Lebensmittelvergiftung der Reise beschert. Komplett entleert, trete ich am nächsten Morgen zusammen mit Henriette die Strecke zur Raikot Bridge, unserem Treffpunkt für den Märchenwiesen-Aufstieg, an.

Es ist ein regnerischer Tag, aber wir werden schnell mitgenommen und auch Macief aus Danzig und Thomas aus Belgien, zudem Adam und Maria aus den Niederlanden kommen kurz nach uns an. Die nächste Stunde werden wir über die halsbrecherischste Straße, die man sich vorstellen kann, in beeindruckender Art und Weise zum Beginn des Wanderweges gefahren. Nachdem 2013 bei einem Taliban-Angriff 13 Bergsteiger erschossen wurden, wurden Touristen jahrelang von einer bewaffneten Polizeieskorte begleitet. Die ist mittlerweile nicht mehr vonnöten. Stattdessen wird uns ein Koch von einem der wenigen noch offenen Hotels zur Seite gestellt, der uns die nächsten Stunden begleitet, anfeuert und unterhält.
Es hat zu schneien begonnen und wir ahnen, dass uns die erhofften Ausblicke vielleicht verwehrt bleiben werden. Dennoch hat der Aufstieg etwas Magisches und auch etwas Weihnachtliches.
Gegen Abend erreichen wir das Hotel und erhandeln uns eine gemütliche Hütte mit Zentralheizung, einem Ofen in der Mitte. Als wir morgens mit kalten Fingern versuchen, diesen wieder in Gang zu bringen, schneit es immernoch. Wir sind froh, dass wir unsere bisher kaum benutzten Regenhosen doch noch nicht verschenkt haben und fühlen uns, als wir wenig später durch die 50cm hohe weiße Pracht laufen, wie früher im Schneeanzug. An das eigentlich nur 2 Stunden entfernte Basislager des Nanga Parbat ist nicht zu denken, wir können schlicht den Weg nicht ausmachen und auch die Sicht auf den „Killer Mountain“, an dem unter anderem Reinhold Messners Bruder tödlich verunglückt ist, bleibt im Schneeschauer verborgen. Es ist trotzdem herrlich!
Am nächsten Morgen geht’s wieder runter. Diesmal ohne Begleitung stapfen wir gen Tal und müssen uns teilweise durch hüfthohe Schneewehen kämpfen. Für die anderen vier geht es in Richtung Islamabad weiter, wir fahren nochmal nach Norden, um uns von Gilgit zu verabschieden.

Wie es der Zufall will, sind die kommenden Tage wettertechnisch wieder optimal und wir entdecken mit Moin, seinem Gefolge und zwei weiteren Couchsurfern (den beiden Ungarn Renato und Zoltan, auch magenkrank), die Nachbarschaft. Wir dürfen eine Vorschule mit exorbitanten Anforderungen und eine von den Chinesen gebaute und nach 6 Jahren wieder eingestürzte Brücke besichtigen und werden nacheinander in idyllischer Umgebung von Moin vor die Kamera gebeten, um Statements über unsere bisherigen Pakistan-Erfahrungen abzugeben. 19 Jahre jung, steckt er voller Energie und Tatendrang und hat neben vielen anderen Ambitionen wohl auch das Ziel, Youtube-Star zu werden. Da helfen wir natürlich gerne.
Die oft eher rethorisch gestellte Frage, wie uns Pakistan gefällt, bekommen wir aber ständig zu hören. Es scheint, als wären die Pakistani zum einen stolz auf ihre Gastfreundschaft (zu Recht!), zum anderen schwingt aber auch die Hoffnung mit, dass wir die Vorboten eines wieder erstarkenden Tourismus sind. Es ist die Hoffnung nach neuen Impulsen für eine vernachlässigte Region, eine Provinz, in der man stolz ist, Pakistani zu sein, formal aber nicht richtig dazu gehört und deshalb oft leer ausgeht.

Gut überwacht zur höchsten Grenze der Welt

Innerlich sind wir vorbereitet auf den anstrengendsten Tag unserer Reise. Wir haben uns belesen über Xinjiang, die Provinz im Westen Chinas, die zwischen uns und unserem nächsten Ziel Pakistan liegt. Wissen, dass die Chinesen wegen Attentaten einiger extremistischer Uiguren einen Polizeistaat errichtet haben und die Einreise für Ausländer mit enormen Sicherheitskontrollen einhergeht. Dass dabei der Zugriff auf Handys und Laptops gefordert und in manchen Fällen gar eine Spionage-App installiert wird. Dass unterwegs mindestens alle 100km ein Checkpoint mit Gesichtserkennung wartet und es in den Städten von stationärer und mobiler Polizei nur so wimmelt.
Wir sind vorbereitet und doch überrascht, als wir erst gegen 10 Uhr abends, 13 Stunden, nachdem wir in Irkeshtam aufbrechen und die nur 250km nach Kashgar vor uns haben, hundemüde die Tür zum Hotelzimmer aufschließen.

Um 9 geht’s los. Wir stärken uns nochmal an einer deftigen Morgensuppe und laufen anschließend zum einsamen Grenzposten der Kirgisen, der nur ein paar Meter von unserer Unterkunft entfernt liegt. Ein dicklicher Soldat liegt auf der Heizung und schreckt auf, als wir eintreten. Nach einem halbherzigen Gepäckcheck verabschiedet uns ein weiterer Grenzbeamter mit einem Lächeln, dass uns – aus der Retrospektive betrachtet – wohl auf die kommenden Strapazen vorbereiten soll.
Unsere erste Begegnung mit chinesischem Staatsgebiet machen wir, als wir wenig später über die Baustelle stolpern, die wohl demnächst mal ein anständiger Grenzposten werden soll. Die netten Beamten, die wir schließlich aufstöbern, machen uns ein Auto zum nächsten Checkpoint klar. In diesem angekommen, werden wir dann erst einmal im abschließbaren Warteraum untergebracht und dürfen uns die erste von vielen schlecht übersetzten Infotafeln durchlesen. Individualreisenden wird hier nochmals empfohlen, die offiziellen Taxis zu benutzen. Die Straße zum nächsten Checkpoint und weiter nach Kashgar sei schlecht ausgebaut und man würde auf eigene Faust Gefahr laufen, vom rechten Wege abzukommen…
Nachdem ein Grenzbeamter sich wenig später tatsächlich fast alle unserer 10000 Bilder auf dem Tablet angeschaut und sich über das chinesische Fabrikat gefreut hat, geht es auf einem hervorragenden Highway weitere 140 km auf schnurgerader Strecke zum eigentlichen Immigration Post in Ulugqat. Als wir an den wenigen Siedlungen vorbeifahren, sehen wir neben hochgradig gesicherten Kindergärten und Schulen auch die uns wohl bekannten Kalpak-Hüte durch die staubigen Straßen spazieren. Auch Kirgisen bilden eine Minderheit in Xinjiang.
An unserer nächsten Station wirds nochmal penibel. Uns werden die Fingerabdrücke abgenommen und Henriette darf einmal ihren gesamten Hausrat präsentieren. Unser Taxifahrer ist schon abgefahren, als wir endlich auch die Diskussion darüber gewinnen, ob wir unsere Taschenmesser behalten dürfen. Wir jubilieren wie kleine Kinder, haben aber noch die letzten 100 km bis nach Kashgar vor uns und noch keine Yuan in der Tasche, um uns das Busticket zu kaufen. Zu trampen versuchen wir erst gar nicht.
Nach einigem Hin und Her am Schalter wird ein schwer bewaffneter Polizist zu Hilfe geholt. Er hat eines dieser wirklich schlauen Übersetzungsgeräte und organisiert uns einen Transport zur Bank.
Dank der überall in China gültigen Peking-Zeit (angesichts der schieren Größe Chinas ist eine Zeitzone schon eine Ansage, Anm. d. R.) ist es auf einmal wieder bis abends um halb 9 hell, aber wir erreichen unser Ziel für heute trotzdem erst in der Dunkelheit. Das unentwegte Blitzen der jedes Auto erfassenden Kameras bleibt mir in Erinnerung, als ich später die Augen schließe. –

Kashgar ist neben dem etwas weiter nördlich gelegenen Urumtschi und dem südöstlich gelegenen Hotan eine der größeren Städte Xinjiangs und geprägt durch seine überwiegend muslimische uigurische Bevölkerung. In letzter Zeit machte China von sich reden, weil es hunderte so genannte Umerziehungslager für Uiguren schuf, die sich nicht auf Parteilinie bewegten. In den abgeschiedenen und abgeriegelten Lagern steht u.a. Chinesisch lernen und das Singen von chinesischen Volksliedern auf dem Programm.
Laut Medienberichten sind mittlerweile mehr als 10 Prozent der uigurischen Bevölkerung in derartigen Einrichtungen inhaftiert, oftmals für kleine „Vergehen“ wie dem Teilnehmen an Arabisch-Stunden. Ohne Rücksicht werden hierbei auch Eltern von ihren Kindern getrennt, die fortan in geschlossenen „Kindergärten“ untergebracht sind.
Ich muss an die in der chinesischen Botschaft in Teheran ausgelegten Broschüren denken, die mit sachlichen Titeln sozialwissenschaftliche Studien zur Garantierung der Religionsfreiheit sowie Maßnahmen für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen in Xinjiang darlegten. Davon ist hier allenfalls in den gelegentlich anzutreffenden Übersetzungen der chinesischen Schriftzeichen in Uiguirisch etwas zu sehen. Außer der Heytgah-Moschee, der größten in China, sucht man als solche erkenntliche muslimische Gotteshäuser vergebens. Die alte Kultur der hier seit Jahrhunderten ansässigen Minderheit ist mittlerweile nur insoweit geduldet, als dass es touristisch vermarktbar wäre. Seit 2009 ist ein Großteil der historischen Altstadt zerstört und durch eine neu gebaute „Altstadt“ ersetzt worden. Die Sicherheitskameras sind stilecht mit Bast umwickelt, die Stühle der Cafés mit einem angerauten Look versehen. Horden von han-chinesischen Touristen gehen auf Fotojagd. Wer nicht mindestens 2 DSLRs mit 25cm-Objektiv aufzuweisen hat, durfte offensichtlich nicht in den Bus steigen.
Lässt man für einen Augenblick die Absurdität dieses Disneylands außer Acht, lässt es sich hier sogar prima flanieren. Uigurische Handwerkskunst wird feilgeboten, ebenso traditionelle Speisen aller Art auf dem Nacht-Foodmarkt. Nur die Häuserfassaden, von dezenten Scheinwerfern perfekt ausgeleuchtet, sehen bei genauerem Hinsehen aus wie Kulissen im Filmpark Babelsberg.

Die Reste der – für Touristen nicht zugänglichen – Altstadt im Hintergrund müssen wohl auch noch weichen. Hier ist eine großzügig angelegte Parkanlage geplant.
Dieser sympathische taubstumme Brotverkäufer unterhielt uns herrlich während einer Essenspause und fragte am Ende selber nach einem Portrait. Gut für uns, sonst sind wir meist zu schüchtern, die Leute zu fragen.
Same here!

Etwas authentischer geht es da auf dem sonntäglichen Viehmarkt etwas außerhalb der Stadt zu. Rinder, Yaks, Schafe, Esel und sogar ein paar Kamele werden hier unters Volk gebracht. Angesichts der eng angebundenen Tiere versuchen wir unser Gemüt mit der These zu beruhigen, dass ihr sonstiges Leben wohl immerhin nicht mit dem eines in deutscher Massentierhaltung zu vergleichen ist.
Vor den Toren zum eigentlichen Viehgeschäft werden einige frisch geschlachtete Tiere zerlegt und landen wahlweise in Teig gewickelt in hölzernen Garbehältern oder als Schaschlik im Feuerofen. Quacksalber führen mit Ansteckmikro ihre neuste Wundsalbenkollektion vor und werden nur von den für uns unverständlichen und auf Anschlag gedrehten Werbesprüchen aus mehreren Kleinlastern übertönt, die Plastikwaren aller Art im Angebot haben. Dazwischen kann man frisch gepressten Granatapfelsaft probieren oder sich in großer Runde Honigmelone schmecken lassen.

Nach 3 Tagen machen wir uns auf die Socken: der Karakoram-Highway, der sich von Kashgar bis kurz hinter Islamabad erstreckt, liegt vor uns. Der Kleinbus nach Tashkurgan, dem obligatorischen Zwischenstopp auf dem Weg zur pakistanischen Grenze ist zwar öffentlich, macht aber freundlicherweise Halt an den fotogensten Stellen der Straße, die als eine der höchsten der Welt gilt.
In Tashkurgan darf man das Stadtgebiet ohne besondere Erlaubnis nicht verlassen, trotzdem bleiben wir 2 Nächte und kurieren uns etwas aus. In meiner Erkältung bin ich mittlerweile im Schnupfenstadium angekommen und habe das Gefühl, einen Kopf voll mit Schleim zu haben. Unter diesen Umständen lernen wir aber immerhin eine ganze Palette freundlicher Pakistani kennen, die grenzübergreifend unterschiedlichen Geschäften nachgehen. Bahandi, dessen Firma er treffsicher „Bahandi Import & Export“ genannt hat, gibt schonmal unsere Visadaten an seinen Vater durch, der leitender Beamter an der pakistanischen Grenze ist. Weil die Angabe eines Einreisedatums in unserer E-Visa-Bestätigungsmail fehlt, sind wir uns nicht ganz sicher, ob wir überhaupt schon rüber dürfen.
Am nächsten Tag wagen wirs trotzdem. So ausschweifend unser Einreiseprogramm gestaltet wurde, so schnell werden wir zu unserer Freude bei der Ausreise aus China abgefertigt. Am Busterminal treffen wir all die bekannten Gesichter der Abende vorher wieder und fühlen uns schon bald wie unter Freunden. Als auch wirklich jeder Reissack auf dem kleinen Busdach verstaut ist, geht es los in Richtung der höchsten Grenze der Welt, dem Khunjerab Pass. Draußen wird die Landschaft immer weißer, wir schrauben uns noch ein paar Serpentinen empor und dann sehen wir das berühmte Tor, welches die Grenze symbolisiert. Wir fahren noch vorbei am höchsten gelegenen Bankautomaten der Welt und sind in Pakistan.

Am Bulunkuo See.
Der Khunjerab Pass auf 4693m Höhe.

Die letzten 80 km bis nach Sost sind landschaftlich spektakulär. Wir schlängeln uns durch schroffe Berge und tiefe Schluchten, der Khunjerab River begleitet uns zuverlässig und lässt hier und da kleine Oasen entstehen.
In der Grenzbehörde in Sost werden wir dank Bahandis Bemühungen schon erwartet und mit Tee bewirtet. Als wir uns wenig später ein Bett suchen, treffen wir auf unsere Busbekanntschaften, die uns zurufen: „Enjoy Pakistan! You are free again!“ Da ist was dran.