Durchs wilde Gilgit-Baltistan

Was sofort auffällt, ist, dass wir uns ohne Probleme verständigen können. Jung und Alt spricht hier Englisch, was wohl zum Einen der britischen Kolonialherrschaft “zu verdanken” ist, andererseits dem vor 9/11 doch recht starken Tourismus entlang des Karakoram-Highways.
Auf diesem wollen wir uns jetzt langsam in Richtung Süden treiben lassen.

Unsere nächste Station nach Sost ist Passu, ein verschlafenes Dörfchen mit herrlicher Sicht auf die Berge, welches vor allem für die von hier startenden Wanderwege zu zwei großen Gletschern bekannt ist. Nachdem uns unsere Mitfahrgelegenheit am Ortseingang abgesetzt hat, werden wir sogleich zum “Cathedral View Hostel” geführt. Die “Kathedrale” ist eine Anordnung von Felsspitzen, die sich wolkenverhangen im Halbkreis gegenüber zu stehen scheinen und von gut tausend Metern weiter unten tatsächlich imponieren. Auch 2 Hängebrücken sollen sich in der Nähe über den Fluss spannen. In einer 4-Stunden-Wanderung könnte man beide überschreiten, erzählt uns der junge Herbergsvater. Wir entscheiden, uns zumindest die erste anzugucken und dann zu schauen, ob wir noch weiter gehen wollen. Die Brücke im nächsten Dorf Hussaini ist eine Touristenattraktion, weil sie eine der längsten ihrer Art sein soll und etwas abenteuerlich aussieht. Vorher aber treffen wir noch auf einen Ami, der wie Helge Schneider aussieht, aber nicht ganz so lustig ist. Während wir uns wenig später vorsichtig von einer Bohle zur nächsten bewegen, rennt eine Einheimische an uns vorbei. Ist also doch super sicher hier, das Ganze.
Auf der anderen Seite angekommen, führt ein hübscher Wanderweg den Felsen hinauf. Wir überlegen kurz und entscheiden uns für das verlockende Angebot, auch wenn es langsam zu dunkeln beginnt und wir noch eine Brücke vor uns haben. Wir laufen durch Dörfer, in denen ein Großteil der einfachen Steinhäuser eingefallen ist. Die meisten Einwohner der noch intakten Behausungen sind wohl auch schon dem nahenden Winter entflohen. Ein paar zähe Hirten sind noch da und grüßen uns überrascht. Die paar Kühe, die wir aufscheuchen, suchen hingegen schnell das Weite. Leider schreitet die Dämmerung schneller voran als gedacht und als wir die zweite Brücke erreichen, ist es stockduster. Schritt für Schritt arbeiten wir uns im Schein unserer Kopflampen voran. Tief unter uns rauscht der Fluss und ein Ende ist auch nach 10 Minuten schweigenden Marsches nicht abzusehen. Einige Bretter sind schon so gut wie durch, aber die Stahlseile scheinen noch ganz gut zu halten. Irgendwann sind wir tatsächlich drüben. Jetzt gilt es nur noch den Weg zurück nach Passu zu finden. Es geht wieder hoch hinauf in die Berge und während wir manchmal den Abgrund zu unserer Rechten erahnen, denken wir uns, dass es im Hellen hier bestimmt auch ganz nett wäre. Als wir nach einer weiteren Stunde das Hostel erreichen, warten der besorgte Betreiber und zwei Neuankömmlinge schon auf uns. Bei einem dampfenden Biryani, einem würzigen Reis mit Fleisch und Joghurt, laden uns die beiden ein, ein paar Tage später mit ihnen zu den Fairy Meadows zu fahren. Die “Märchenwiese” ist einer der bekanntesten Orte in Pakistan. Um ihn zu erreichen, ist man gute 3 Stunden zu Fuß unterwegs, wird dann aber mit einem spektakulären Ausblick auf den Nanga Parbat, den achtgrößten Berg der Erde, belohnt. Eine prima Gelegenheit, denken wir uns, ist die Saison doch so gut wie vorbei und da oben kann uns ein wenig heitere Gesellschaft bestimmt nicht schaden.

Doch zunächst wollen wir uns noch ein wenig an den bunten Tälern erfreuen. Es geht nach Karimabad, einem verschnörkelten Dorf mitten im Hunza Valley. Auch hier sind fast alle Touristen schon ausgeflogen und wir teilen uns die herrlichen Ausblicke nur mit den Dorfbewohnern und zahlreichen Ziegen. Nach 3 Tagen sind wir um einige kulinarische Erfahrungen reicher, haben eine erstklassige Prügelei im Anschluss an ein Fußballmatch vor traumhafter Kulisse miterlebt und haben gelernt, wie man sich mit einem Eimer heißen Wassers duscht.

Unsere nächste Station ist Minapin, nur einige Kilometer entfernt. Von hier kann man in einem Tagesmarsch das Basislager des Rakaposhi, eines weiteren Bergriesen, erreichen. Wir treffen allerdings etwas zu spät ein, was unter anderem daran liegt, dass die überall in Pakistan zu findenden psychedelisch angemalten Laster zwar wunderschön anzuschauen, aber auch mit Abstand die langsamsten Gefährte auf der Straße sind. Um die Fairy-Meadows-Reisegruppe rechtzeitig zu erreichen, müssen wir uns außerdem am nächsten Tag schon wieder auf die Socken machen, also bleiben wir lieber gleich im gemütlichen Guesthouse und lassen uns heißhungrig ein oberleckeres Mutton-Karai schmecken, einen würzigen Schaf-Gulasch.

Am nächsten Tag stehen wir mittags auf der Straße und werden schon schnell von einigen hilfsbereiten Pakistani nach Gilgit mitgenommen, der quirligen Provinzhauptstadt der “fünften” Provinz Pakistans Gilgit-Baltistan. Offiziell ist diese Provinz gar kein Teil Pakistans, auch wenn es meistens den Anschein macht. Doch obwohl die nördlichste Region des Landes wegen seiner spektakulären Landschaft die meisten Touristen anlockt, haben seine Einwohner keinen Vertreter in der pakistanischen Regierung. Die Provinz ist “Sonderterritorium unter Bundesverwaltung” und gehört zur umstrittenen Region Kaschmir. Wie auch immer, in Gilgit angekommen, trinkt Henriette erstmal einen Tee und ich pfeife mir einen Cheeseburger rein. Wenig später lernen wir unseren ersten Couchsurfing-Host in Pakistan, Moin, und seine Familie, die aus seinem Bruder Salman Khan, seiner Mutter Gulbibi und der sehr niedlichen Großmutter Bibischa besteht und die am Rande der Stadt in einem einfachen, aber großzügig angelegten Haus lebt, kennen. Wir haben einen lustigen Abend miteinander, doch die Nacht wird für mich zur Tortur. Anscheinend hat mir der noch nicht mal leckere Burger die erste Lebensmittelvergiftung der Reise beschert. Komplett entleert, trete ich am nächsten Morgen zusammen mit Henriette die Strecke zur Raikot Bridge, unserem Treffpunkt für den Märchenwiesen-Aufstieg, an.

Es ist ein regnerischer Tag, aber wir werden schnell mitgenommen und auch Macief aus Danzig und Thomas aus Belgien, zudem Adam und Maria aus den Niederlanden kommen kurz nach uns an. Die nächste Stunde werden wir über die halsbrecherischste Straße, die man sich vorstellen kann, in beeindruckender Art und Weise zum Beginn des Wanderweges gefahren. Nachdem 2013 bei einem Taliban-Angriff 13 Bergsteiger erschossen wurden, wurden Touristen jahrelang von einer bewaffneten Polizeieskorte begleitet. Die ist mittlerweile nicht mehr vonnöten. Stattdessen wird uns ein Koch von einem der wenigen noch offenen Hotels zur Seite gestellt, der uns die nächsten Stunden begleitet, anfeuert und unterhält.
Es hat zu schneien begonnen und wir ahnen, dass uns die erhofften Ausblicke vielleicht verwehrt bleiben werden. Dennoch hat der Aufstieg etwas Magisches und auch etwas Weihnachtliches.
Gegen Abend erreichen wir das Hotel und erhandeln uns eine gemütliche Hütte mit Zentralheizung, einem Ofen in der Mitte. Als wir morgens mit kalten Fingern versuchen, diesen wieder in Gang zu bringen, schneit es immernoch. Wir sind froh, dass wir unsere bisher kaum benutzten Regenhosen doch noch nicht verschenkt haben und fühlen uns, als wir wenig später durch die 50cm hohe weiße Pracht laufen, wie früher im Schneeanzug. An das eigentlich nur 2 Stunden entfernte Basislager des Nanga Parbat ist nicht zu denken, wir können schlicht den Weg nicht ausmachen und auch die Sicht auf den “Killer Mountain”, an dem unter anderem Reinhold Messners Bruder tödlich verunglückt ist, bleibt im Schneeschauer verborgen. Es ist trotzdem herrlich!
Am nächsten Morgen geht’s wieder runter. Diesmal ohne Begleitung stapfen wir gen Tal und müssen uns teilweise durch hüfthohe Schneewehen kämpfen. Für die anderen vier geht es in Richtung Islamabad weiter, wir fahren nochmal nach Norden, um uns von Gilgit zu verabschieden.

Wie es der Zufall will, sind die kommenden Tage wettertechnisch wieder optimal und wir entdecken mit Moin, seinem Gefolge und zwei weiteren Couchsurfern (den beiden Ungarn Renato und Zoltan, auch magenkrank), die Nachbarschaft. Wir dürfen eine Vorschule mit exorbitanten Anforderungen und eine von den Chinesen gebaute und nach 6 Jahren wieder eingestürzte Brücke besichtigen und werden nacheinander in idyllischer Umgebung von Moin vor die Kamera gebeten, um Statements über unsere bisherigen Pakistan-Erfahrungen abzugeben. 19 Jahre jung, steckt er voller Energie und Tatendrang und hat neben vielen anderen Ambitionen wohl auch das Ziel, Youtube-Star zu werden. Da helfen wir natürlich gerne.
Die oft eher rethorisch gestellte Frage, wie uns Pakistan gefällt, bekommen wir aber ständig zu hören. Es scheint, als wären die Pakistani zum einen stolz auf ihre Gastfreundschaft (zu Recht!), zum anderen schwingt aber auch die Hoffnung mit, dass wir die Vorboten eines wieder erstarkenden Tourismus sind. Es ist die Hoffnung nach neuen Impulsen für eine vernachlässigte Region, eine Provinz, in der man stolz ist, Pakistani zu sein, formal aber nicht richtig dazu gehört und deshalb oft leer ausgeht.

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