Der Iran hat einen tief sitzenden Eindruck bei uns hinterlassen, was vordergründig auf die kommunikationsfreudigen Iraner zurück zu führen ist. Wir haben uns manchmal gefragt, wie uns eine Reise durch dieses Land ohne Trampen und Couchsurfing gefallen hätte. Gewiss, Begegnungen können auch auf andere Weise zustande kommen. Aber oft waren es gerade diese Gelegenheiten, die, auch bedingt durch das gute Englisch vieler Couchsurfing-Hosts, einen guten Einblick in die Gesellschaft geben konnten.
Couchsurfing anzubieten, ist an sich schon eine kleine Auflehnung gegen das Regime, welches es seinen Bürgern in der Regel untersagt, tiefere Beziehungen zu Touristen aufzubauen. Nicht ohne Grund wird die Couchsurfing-Website vom Staat blockiert, genau wie der Messenger-Dienst Telegram und viele andere Websites wie Google oder Wikipedia, und ist nur mit Hilfe einer VPN-Anwendung erreichbar.
Auch Hostelbetreiber sind oft westlich orientiert und erlauben hinter geschlossenen Türen das Ablegen des Hijabs und Zusammenschlafen von unverheirateten Paaren.
Wir haben also in den meisten Fällen auch nur einen bestimmten Ausschnitt der iranischen Gesellschaft getroffen. Trotzdem hatten wir das Gefühl, die von diesem Ausschnitt geteilten Gedanken, Erzählungen und Einschätzungen betreffen eine breite Masse, eine Generation. Davon soll dieser Eintrag handeln.
Im Gespräch mit jungen Männern tauchte immer wieder die Wehrpflicht auf. Jeder Mann muss für 21 Monate zur Armee. 21 Monate, die von vielen als verschwendete Lebenszeit angesehen werden.
Wer studiert, kann seinen Dienst aufschieben, was jedoch dazu führt, dass ihn fast alle Studenten im Anschluss an ihr Studium absolvieren und ins Berufsleben starten, wenn die Hälfte des Stoffs schon wieder vergessen wurde.
Der Dienst selber ist verhasst und besteht vor allem aus Marschieren, dem Warten der längst veralteten Technik, dem Bewachen von Grenzanlagen oder Strammstehen, wenn hoher Besuch erwartet wird. Außer einigen Schießübungen stehen keine Trainings auf dem Programm. Ein Gefühl der Ohnmacht macht sich schnell breit angesichts dieser von sinnlosen Tätigkeiten gefüllten Zeit.
Wir treffen einige, die sich erfolgreich um den Dienst herummogeln. Einen Reisepass erhält nur derjenige, der einen absolvierten Dienst vorweisen kann. Wer jedoch zum Beispiel angibt, nach Kerbala im Irak reisen zu wollen, um an der Pilgerreise zu Ehren Husseins teilzunehmen, kann Glück haben und bekommt auf diese Weise seinen Pass ausgestellt. Wer viel Geld hat, kann sich freikaufen.
Und doch akzeptieren die meisten die Situation, aus Mangel an Skrupellosigkeit oder Geld.
In Baku treffen wir S., der Zahnmedizin studiert. Nach Ende seines Studiums wird er für lange Zeit nicht in sein Heimatland zurück kommen können. Er hat keine Lust, den Wehrdienst zu absolvieren, müsste seiner Pflicht jedoch nachkommen, wenn er in den Iran einreisen würde. Erst mit 50 Jahren fällt man schließlich aus dem Raster und darf straffrei wieder ein- und ausreisen.
Zudem wäre da die Sache mit der Islamischen Republik. Die allermeisten Couchsurfing-Gastgeber haben sich spätestens nach der Schule vom Islam abgewandt. Die Religion wird in Verbindung gebracht mit verhasstem Arabisch-Unterricht in der Schule, unsinnig altbackenen Gesetzen und der Beschneidung von persönlichen Freiheiten.
Einige interessieren sich wieder für die alte Religion der Perser, dem Zoroastrismus. Der Islam wird als ein von den Arabern vor vielen Jahren aufgezwungener Glaube angesehen, manche unserer Gesprächspartner sprechen gar vom Iran als einer von den Arabern kolonisierten Nation. Obendrein seien die geistlichen Führer des Landes keine Perser, sondern Irakis.
Durch Social Media machen umstrittene Entscheidungen der Gesetzeshüter und ihre Folgen schnell die Runde, beispielsweise als sich kürzlich das so genannte blue girl, eine junge Frau vor einem Gericht selbst entzündete und an den Folgen verstarb, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr 6 Monate Haft drohen, weil sie als Mann verkleidet einem Fußballspiel ihres Lieblingsvereins beiwohnte.
Peitschenhiebe drohen immernoch jenen, die sich beim Alkoholgenuss erwischen lassen und selbst die Steinigung einer mutmaßlichen Ehebrecherin wurde noch 2011 praktikiziert.
Die Wut wächst, aber auch die Hilflosigkeit einer nicht organisierten und unterdrückten Generation tritt zutage.
Eine Revolution schließen die meisten jedoch aus. Zu tief sitzt bei einigen noch der Schock von 2009, als die Regierung die friedliche „Grüne Bewegung“ gewaltsam niederschlagen ließ. Eine starke politische Opposition gibt es nicht, was auch daran liegt, dass sich die reformwilligen Gruppierungen nicht auf ein gemeinsames Programm einigen können.
Andere fürchten im Falle einer politischen Umwälzung einen Bürgerkrieg, in dessen Folge sich die Großmächte der Welt nur zu gerne an iranischem Grund und Boden gütlich täten.
Und so wird sich im Untergrund arrangiert, um dessen Existenz die Regierung wohl weiß. Es wird geduldet, dass Techno-Parties an abgelegenen Orten gefeiert werden, dass Leute ihren eigenen Alkohol herstellen und kleinere Unternehmen keine Steuern zahlen.
Wir treffen beide: diejenigen, denen diese zugestandenen Freiheiten genügen und die, die trotzdem unter ihrem Land und seinen Restriktionen leiden und sich eingeengt fühlen. Beide eint die Hoffnung, dass die kleinen Zugeständnisse irgendwann eine neue Republik zutage fördern.