Iran: Das Dilemma einer Generation

Der Iran hat einen tief sitzenden Eindruck bei uns hinterlassen, was vordergründig auf die kommunikationsfreudigen Iraner zurück zu führen ist. Wir haben uns manchmal gefragt, wie uns eine Reise durch dieses Land ohne Trampen und Couchsurfing gefallen hätte. Gewiss, Begegnungen können auch auf andere Weise zustande kommen. Aber oft waren es gerade diese Gelegenheiten, die, auch bedingt durch das gute Englisch vieler Couchsurfing-Hosts, einen guten Einblick in die Gesellschaft geben konnten.

Couchsurfing anzubieten, ist an sich schon eine kleine Auflehnung gegen das Regime, welches es seinen Bürgern in der Regel untersagt, tiefere Beziehungen zu Touristen aufzubauen. Nicht ohne Grund wird die Couchsurfing-Website vom Staat blockiert, genau wie der Messenger-Dienst Telegram und viele andere Websites wie Google oder Wikipedia, und ist nur mit Hilfe einer VPN-Anwendung erreichbar.
Auch Hostelbetreiber sind oft westlich orientiert und erlauben hinter geschlossenen Türen das Ablegen des Hijabs und Zusammenschlafen von unverheirateten Paaren.
Wir haben also in den meisten Fällen auch nur einen bestimmten Ausschnitt der iranischen Gesellschaft getroffen. Trotzdem hatten wir das Gefühl, die von diesem Ausschnitt geteilten Gedanken, Erzählungen und Einschätzungen betreffen eine breite Masse, eine Generation. Davon soll dieser Eintrag handeln.

Grafitti an den Mauern der ehemaligen US-Botschaft in Teheran.

Im Gespräch mit jungen Männern tauchte immer wieder die Wehrpflicht auf. Jeder Mann muss für 21 Monate zur Armee. 21 Monate, die von vielen als verschwendete Lebenszeit angesehen werden.
Wer studiert, kann seinen Dienst aufschieben, was jedoch dazu führt, dass ihn fast alle Studenten im Anschluss an ihr Studium absolvieren und ins Berufsleben starten, wenn die Hälfte des Stoffs schon wieder vergessen wurde.
Der Dienst selber ist verhasst und besteht vor allem aus Marschieren, dem Warten der längst veralteten Technik, dem Bewachen von Grenzanlagen oder Strammstehen, wenn hoher Besuch erwartet wird. Außer einigen Schießübungen stehen keine Trainings auf dem Programm. Ein Gefühl der Ohnmacht macht sich schnell breit angesichts dieser von sinnlosen Tätigkeiten gefüllten Zeit.
Wir treffen einige, die sich erfolgreich um den Dienst herummogeln. Einen Reisepass erhält nur derjenige, der einen absolvierten Dienst vorweisen kann. Wer jedoch zum Beispiel angibt, nach Kerbala im Irak reisen zu wollen, um an der Pilgerreise zu Ehren Husseins teilzunehmen, kann Glück haben und bekommt auf diese Weise seinen Pass ausgestellt. Wer viel Geld hat, kann sich freikaufen.
Und doch akzeptieren die meisten die Situation, aus Mangel an Skrupellosigkeit oder Geld.
In Baku treffen wir S., der Zahnmedizin studiert. Nach Ende seines Studiums wird er für lange Zeit nicht in sein Heimatland zurück kommen können. Er hat keine Lust, den Wehrdienst zu absolvieren, müsste seiner Pflicht jedoch nachkommen, wenn er in den Iran einreisen würde. Erst mit 50 Jahren fällt man schließlich aus dem Raster und darf straffrei wieder ein- und ausreisen.

Ein Lastentransporteur gönnt sich einen kurzen Moment der Rast.
Shiraz

Zudem wäre da die Sache mit der Islamischen Republik. Die allermeisten Couchsurfing-Gastgeber haben sich spätestens nach der Schule vom Islam abgewandt. Die Religion wird in Verbindung gebracht mit verhasstem Arabisch-Unterricht in der Schule, unsinnig altbackenen Gesetzen und der Beschneidung von persönlichen Freiheiten.
Einige interessieren sich wieder für die alte Religion der Perser, dem Zoroastrismus. Der Islam wird als ein von den Arabern vor vielen Jahren aufgezwungener Glaube angesehen, manche unserer Gesprächspartner sprechen gar vom Iran als einer von den Arabern kolonisierten Nation. Obendrein seien die geistlichen Führer des Landes keine Perser, sondern Irakis.
Durch Social Media machen umstrittene Entscheidungen der Gesetzeshüter und ihre Folgen schnell die Runde, beispielsweise als sich kürzlich das so genannte blue girl, eine junge Frau vor einem Gericht selbst entzündete und an den Folgen verstarb, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr 6 Monate Haft drohen, weil sie als Mann verkleidet einem Fußballspiel ihres Lieblingsvereins beiwohnte.
Peitschenhiebe drohen immernoch jenen, die sich beim Alkoholgenuss erwischen lassen und selbst die Steinigung einer mutmaßlichen Ehebrecherin wurde noch 2011 praktikiziert.
Die Wut wächst, aber auch die Hilflosigkeit einer nicht organisierten und unterdrückten Generation tritt zutage.

Eine Revolution schließen die meisten jedoch aus. Zu tief sitzt bei einigen noch der Schock von 2009, als die Regierung die friedliche „Grüne Bewegung“ gewaltsam niederschlagen ließ. Eine starke politische Opposition gibt es nicht, was auch daran liegt, dass sich die reformwilligen Gruppierungen nicht auf ein gemeinsames Programm einigen können.
Andere fürchten im Falle einer politischen Umwälzung einen Bürgerkrieg, in dessen Folge sich die Großmächte der Welt nur zu gerne an iranischem Grund und Boden gütlich täten.
Und so wird sich im Untergrund arrangiert, um dessen Existenz die Regierung wohl weiß. Es wird geduldet, dass Techno-Parties an abgelegenen Orten gefeiert werden, dass Leute ihren eigenen Alkohol herstellen und kleinere Unternehmen keine Steuern zahlen.
Wir treffen beide: diejenigen, denen diese zugestandenen Freiheiten genügen und die, die trotzdem unter ihrem Land und seinen Restriktionen leiden und sich eingeengt fühlen. Beide eint die Hoffnung, dass die kleinen Zugeständnisse irgendwann eine neue Republik zutage fördern.

Im Land der Arier Teil III

Von Yazd geht es weiter nach Kerman, weiter in die Wüste. Der Trampergott ist uns auch diesmal gnädig gestimmt und schon nach kurzer Wartezeit sitzen wir im Auto von Mehdi und Fatimeh. Wir werden zu Eiskaffee mit Safran-Eis eingeladen, welches leider von Mal zu Mal mehr nach Rosenwasser als dem edlen Gewürz schmeckt, und erfahren, dass Mehdi ein angesehener Maler ist, der zu Aufträgen im ganzen Land unterwegs ist und seine Frau meistens mitnimmt.

Die beiden liefern uns punktgenau in die Arme von Danial, unserem Host in Kerman. Der sieht aus wie eine verschmitzte iranische Version von Albert Einstein und schnell kommen die Dinge ins Rollen. Wir haben vor allem den Schlenker Richtung Südosten genommen, um die spektakuläre Kalut-Wüste zu sehen, den heißesten Fleck der Erde. Nur wie wir dies am geschicktesten anstellen, war uns noch nicht klar. Die einzige Möglichkeit schien, eine teure Tour über einen der örtlichen Veranstalter zu buchen. Doch Danial grätscht in unsere Überlegungen. Er wäre im Moment eh arbeitslos und angesichts einer kürzlichen Trennung könne ihm ein wenig Abwechslung nur recht sein. Wir laden Proviant für die Nacht und seinen Kumpel Ali ein, der Englisch-Übersetzung studiert und bilden nunmehr ein lustiges Quartett.
Als wir eine Autostunde von Kerman entfernt im Wüstendorf Shahdad eine Pause einlegen, haut uns die Hitze fast um. Trotz der von uns einkalkulierten Vermeidung der Mittagsstunden zeigt das Thermometer um 4 Uhr noch 47°. Uns schwant, dass wir unsere Schlafsäcke heute Nacht wohl nicht brauchen werden und machen uns wieder auf den Weg.

Wer isn dat? – Ali und Danial in Shahdad.
Die Straße weit im Wüstensand
bald sind wir im Kalutenland.

Nach einer weiteren halben Stunde scheint sich am Horizont eine Stadt aus dem Sand zu schälen. Doch es sind die Kaluts, bis zu 70 Meter hohe Sandformationen, die der Wind über die Jahrtausende zu bizarren Gebilden geschliffen hat. Als wir kurz darauf auf einen der wenigen ausgefahrenen Wege von der Straße abbiegen, parkt außer uns noch ein Wohnmobil vor malerischer Kulisse. Danial ruft aus: „Das sind bestimmt Deutsche!“ und soll recht behalten. Die beiden Krefelder Nikolai und Jenny leisten uns alsbald Gesellschaft und es wird ein feiner Abend mit gebratenen Burgern und Sternschnuppen. Als die zwei am nächsten Morgen zeitig aufbrechen und Nikolai jedem von uns eine CD seiner Band in die Hand drückt, fällt mir wieder ein, woher ich sein Gesicht kenne: seine Kapelle „Provinztheater“ brachte uns vor einigen Jahren auf dem Fuego a la Isla in Chemnitz ins Schwitzen und ein damals gekauftes Band-Shirt schleppe ich tatsächlich seit 5 Monaten mit mir rum! Verrückte, schöne Welt.

Am Abend wandeln wir in warmer Sommerluft auf dem verträumten Ganjali Khan Komplex in Kerman und verabschieden uns am nächsten Tag nach einem wahnsinnig guten Kashke Bademjoom, einem Auberginen-Gericht mit Nüssen und Kashke, dem hiesigen Salzkäse, von Danial, unserem Lieblings-Wüstenführer.

Im Caravanserai des Ganjali-Khan-Komplex in Kerman
Auf dem Weg nach Shiraz im Salzsee.

Nach zwei Tagen erreichen wir Shiraz. Die Mutterstadt der berühmten im Umland angebauten Traube hat allerdings noch viel mehr zu bieten als den für die Bevölkerung eh verbotenen Wein. Wir machen in der leider wirklich sehr fotogenen „Pink Mosque“ viel zu viele Fotos, spielen mit unserer Gastgeberin Mahan Bubble-Soccer (googelt das mal…) und beißen in den leckersten Kebab des Iran.

Wie so vieles andere muss auch die Südküste auf einen Besuch von uns bis zu einem nächsten Mal warten, denn wir haben das Gefühl, für unsere geplante Weiterreise über Kirgisistan und China sollten wir uns nicht mehr allzu viel Zeit lassen, da der Sommer in seinen letzten Zügen liegt. Also geht es wieder nordwärts.
Wir haben das Glück, Puja, einen zweiten Ruslan, beim Trampen zu treffen, der uns nachts nicht draußen schlafen lassen will und unserer gesamten Fahrgemeinschaft ein Apartment in Isfahan inklusive des – natürlich nur inoffiziell – berühmten Dattelschnaps‘ spendiert, bevor es am nächsten Morgen nach Kashan weitergeht.

Puja drückt aufs Gaspedal und wir lassen die Landschaft auf uns wirken: oft fahren wir durch flache Täler, an deren Rändern Felsen emporragen, die trotz ihrer Karg- und Schroffheit immer wieder beeindrucken und deren zusammen gefügte Gesteinsschichten die unterschiedlichsten Formen und Farben annehmen und ein herrliches Spiel mit der untergehenden Sonne treiben.
Die weiten Ebenen, derer sich der Betrachter glücklicherweise nur selten ausgesetzt sieht, sind hingegen von langweilender Eintönigkeit und bieten dem Auge des Betrachters wenig Abwechslung.

Kashan trumpft vor allem mit seinen historischen Häusern der damaligen High Society auf, die unglaubliche Ausmaße annehmen und reichlich mit Stuckornamenten verziert sind. Leicht glaubt man hier, dass Kashan zusammen mit Shiraz zu den reichsten Städten der früheren Zeit gehörte. Wir spannen noch kurz aus, bevor wir uns endgültig vom Iran verabschieden.


Die Abholung des turkmenischen Visums bedarf nochmal unserer Vorstellung in Teheran und wir werden von Mehdi, einer U-Bahn-Bekanntschaft unseres ersten Hauptstadt-Besuchs, zu sich und seiner Familie eingeladen. Hier erleben wir einen der wärmsten Empfänge überhaupt. Am ersten Abend ist zufällig die gesamte Verwandtschaft mütterlicherseits anwesend. Wir werden bestaunt, befragt und schließlich sogar mit allerlei Kleinigkeiten beschenkt. Obendrein wird mal wieder aufgetischt und uns das beste Bett des Hauses zugewiesen.
Am nächsten Tag treffen wir Mori und Aryan wieder und schmieden schon Pläne für unsere nächsten Besuche. Denn soviel steht fest: wir wollen wiederkommen. Dieses Mal mit noch mehr Zeit und ein bisschen Platz im Gepäck für die ein oder andere Kostbarkeit.

Mit den coolen City-Dudes Mehdi, Mori und Aryan

Aber erstmal weiter Richtung Osten. Mashad ist unser letztes Ziel im Iran. Nach einem Zwischenstopp in Garmsar nimmt uns Mohammad, unsere 100. Mitfahrgelegenheit, die letzten 800km am Stück mit, von denen uns bestimmt auf 500 die eindrücklichen und immer wiederkehrenden Strophen eines schief singenden Mullahs begleiten, der immernoch den Tod des Märtyrers Hussein betrauert. Das hat man nun davon, wenn man, um Eindruck zu schinden, erzählt, man wolle sich in Mashad den Schrein Imam Rezas ansehen…

In der Stadt dann die ersten Wolken seit 4 Wochen. Den Schrein selber dürfen wir als Ungläubige nicht betreten, dafür bekommen wir für den überdimensionalen Rest der Anlage einen Führer zur Seite gestellt und werden im „Touristenzimmer“ mit Keksen, Wasser und einer Broschüre zum richtigen Verhalten einer Ehefrau beschenkt.

Als wir uns am nächsten Tag zum Grenzort Bajgiran aufmachen, liegt das Kapitel Iran hinter uns. 5 Wochen waren wir hier unterwegs und haben dank der Aufgeschlossenheit der Iraner viele von ihnen kennenlernen dürfen. Sicher haben wir uns immer gefühlt, aber auch die gedrückte Stimmung einiger unserer Gesprächspartner gespürt, die sich unfrei fühlen in diesem Land. Darum soll es im nächsten Blogeintrag gehen.

Der Iran und seine Kuriositäten

Uns um einige Jahre Vorausreisende haben schon einen feinen Blogeintrag zu 17 Wunderlichkeiten des Iran verfasst. Die allermeisten konnten wir schmunzelnd bestätigt sehen und wollen hier nun einige mehr ergänzen. Viel Spaß!

18. Tea-Time bei voller Fahrt

Der tägliche Schwarztee ist den Iranern zwar nicht so heilig wie den Türken, aber auf einer langen Autofahrt auf ihn zu verzichten, ist trotzdem undenkbar. Wenn sich gerade keine Gelegenheit für ein Picknick auf dem Seitenstreifen ergibt, wird kurzerhand bei voller Fahrt eingeschenkt. Alles steht parat im Fußraum, von der Thermoskanne heißen Wassers über die schickste Porzellantasse des heimischen Servirs bis zum obligatorischen Keks. Dass bei nicht immer perfekten Straßenverhältnissen auch mal was daneben gehen kann, wird für eine gute Teezeit gern in Kauf genommen.

19. Wie neu!

Iraner sind stolz auf neue Errungenschaften. Und diese sollten dann bitte auch noch nach Jahren im besten Zustand sein. Also wird häufig die schützende Plastikverpackung an Ort und Stelle belassen, bis es wirklich nicht mehr anders geht.

20. Beton-Zeltplätze

Weil es die Iraner genau wie wir so lieben, zu picknicken oder auch mal ein Zelt aufzustellen, sind die meisten Parks dementsprechend präpariert. Fast immer gibt es eine Reihe aus Beton gegossener Plattformen für das Zuhause aus dünnem Stoff und ein Klohäuschen gleich nebendran. Campingplatz umsonst!

21. PIN? Achso, 4768!

Der bargeldlose Zahlungsverkehr wird im Iran noch weit mehr praktiziert als bei uns in Deutschland. Aber um die Sache noch weiter abzukürzen, wird auf das lästige Selber-eintippen des PINs lieber verzichtet. Man vertraut sich und so hört man oft den Kunden lauthals seine Geheimzahl durch den Laden rufen. Eigentlich kein schlechtes Zeichen für eine Gesellschaft…

22. Alarm für Kobra 11

…kennt hier jeder. Die deutsche Actionserie mit dem nicht alternden Hauptdarsteller Erdogan Atalay wird seit 1995 auch im Iran ausgestrahlt und hat hierzulande eine große Anhängerschaft. Wenn immer es um deutsche Produktionen geht, als erstes wird der RTL-Dauerbrenner genannt.

23. Dance of Knives

Zu Geburtstags- oder Hochzeitsfeiern wird der „Tanz der Messer“ vor dem Anschneiden der Torte praktiziert, indem jeder der Umstehenden zu ausgelassener Musik das Kuchenmesser der Reihe nach in die Hand nimmt und einige Moves vollführt. Wie wir seit „Ali und Nino“ wissen, ist diese Tradition auch schon seit langer Zeit im Kaukasus bekannt, wir wissen also nicht, ob es sich tatsächlich um etwas typisch Iranisches handelt. Schön anzusehen ist es allemal.

Durch Dschungel, Städte und Wüsten nach Yazd

Die Augen geschlossen. Der Puls ruhig und entspannt bei 80 Schlägen pro Minute.
Sowohl unsere Schenkel als auch unsere Zehen wiegen sich nach vielen Stunden tatkräftiger Unterstützung auf unserer Wanderschaft in glücklich entspannter Bewegungslosigkeit. Isomatten und Schlafsäcke frohlocken mit ihren weichen Eigenschaften und erwecken bei uns den Eindruck, wir wären selbst die aus dem Märchen bekannte Prinzessin – jedoch ohne Erbse – auf ca. 3200m Höhe, irgendwo inmitten der Berge des Alamut-Gebirges.
Wir haben es tatsächlich geschafft! Gestartet im kleinen Dorf Haniz, (5 Stunden Autofahrt von Qazvin entfernt), bezwingen wir gemeinsam mit Mahan und Tiziano, einer Bekanntschaft aus Täbris, über 2000 Höhenmeter.
Was unsere Fitness betrifft sind wir danach so hinüber wie – gefühlt – noch nie. Doch der Blick von dort oben auf die weite Bergelandschaft, wie auf den Siyalan (4123m und zum Greifen nahe), mit ihren hohen Gipfeln und tiefen Tälern stimmt uns zufrieden und froh. Wir genießen nach Zeltaufbau und Fertigsüppchen das funkelnde Sternenschauspiel am Nachthimmel und verkriechen uns schließlich müde, erschöpft und auch ein wenig stolz in unsere weichen Kokons.

Nach nur wenigen Stunden Schlaf jedoch klingt es nach Streit, dort droben in den Himmelsphären. Die Augenlider erwachen zu neuem Leben und der Puls schnellt in die Höhe. Während wir zuvor noch die nächtliche Ruhe genossen, veranstalten nun donnernde und blitzende Wettergespenster ein riesengroßes Gezeter. Unser Zelt ist umzingelt von starken, zischenden und fauchenden Winden. Ihre Gefährten sind starker Regen und Hagelkörnern von stattlicher Größe. Beim Versuch, mit Händen und Füßen der nun zunehmend furchteinflösenden Naturgewalt Einhalt zu bieten und jene Kräfte von unserem Zelt abzuwenden, scheitern wir kläglich. Unsere dünnen Wände winden sich von einer Seite zur nächsten, unser Zeltboden hebt sich an manchen Stellen, wie ein Raumschiff, bereit zum Abheben. Schließlich bahnen sich die ersten Tropfen den Weg durch den Lüftungsschlitz. Auch unser lautstarkes Fluchen beeindruckt niemanden da draußen und wir retten uns schließlich in die windgeschützte Hütte neben uns. Die einzigen Lichtblicke sind in jenen Minuten Nikolas‘ stramme Waden und Oberschenkel, die den anderen WanderInnen aus der Not heraus und eher unfreiwillig beim Eintreten des neuen Unterschlupfs präsentiert werden. Jenem Augenschmaus folgt der auf die islamische Etikette bezogene Kommentar von Mahan, dass Nikolas sich doch bitte etwas mehr bedecken möge…
Nach aller Aufregung erwartet uns auf nassen Isomatten und feuchten Schlafsäcken nur eine sehr kleine Mütze Schlaf.

Schadensbegutachtung mit Tiziano.

Am nächsten Morgen beginnen die Aufräumarbeiten auf dem zurück gelassenen Schlachtfeld. Wir suchen die Einzelteile unserer Zelte zusammen und machen uns nach kurzer Nahrungsaufnahme auf den Heimweg, zurück nach Qazvin und zur späteren Stunde am gleichen Tag weiter in Richtung Teheran.

Mori und Fara, unsere nächsten Gastgeber, warten bereits auf uns. Und da wir uns bei den beiden so wohl fühlen werden, verbringen wir nahezu zwei Wochen in der Gemütlichkeit des jungen Pärchens und ihren Freunden. Gleich bei unserer Ankunft erfahren wir über eine Besonderheit, die die folgenden Tage den September bestimmen werden. Neben den vielen großen und kleinen Fahnen und Bannern mit ihren bunten Schriftzügen auf schwarzem Grund, geben auch die vielen Stände auf den Bürgersteigen, an denen kostenlos süßer Saft und warme Speisen verteilt werden, Aufschluss auf das jährlich zelebrierte Ashura.
Während des anstehenden Trauermonats gedenken schiitische Muslime Hussein Ibn Ali, Enkelsohn des islamischen Propheten Muhammed und Sohn des Ali. Nach dem islamischen Kalender lässt dieser am 10. Muharram, am 10. Tag des ersten Monats des Jahres, in der Schlacht von Kerbela sein Leben und wird bis heute als Märtyrer gefeiert und betrauert.
Bei den allabendlich stattfindenden Trauerzügen wird der mehrere Meter hohe Nakhl, der den Sarg Hysain symbolisieren soll, begleitet von tiefen Trommelschlägen mit körperlicher Manneskraft durch die Straßen getragen.
Dem Sarg folgen weitere Anhänger, die durch das leichte Schlagen auf die Brust (Sīnazanī) und ihren Gesängen den Zug begleiten. Die Selbstgeißelung ist in ihrer ursprünglichen Form mittlerweile verboten und wird nur noch symbolisch und längst nicht von allen Teilnehmern der Trauermärsche praktiziert.

Wir selbst sehen an unserem letzten Abend in Teheran einem Trauerschauspiel (Ta’ziya) zu Ehren Husseins zu.
Während auf der Bühne die Schlacht in Kerbela beginnt, spricht uns ein junger Mann an. Ihm sei wichtig, zu erklären, dass es trotz des martialischen Schauspiels nicht um Gewalt oder gar Terrorismus ginge, sondern um die Liebe zu einem im schiitischen Glauben wichtigen Mann.
Er macht uns nachdenklich und seine Erklärungen decken sich mit so vielen anderen Kommentaren Einheimischer und ihrem Bestreben, den Besuchern in ihrem Land immer wieder deutlich zu machen, wie friedliebend die Iraner sind und dass das medial erzeugte Bild ausschließlich auf einer von vielen nicht unterstützten Politik basiert.

Wir genießen die Zeit mit Fara, Mori und auch Arien, einem engen Freund der beiden, in vollen Zügen. Unser Lieblingskartenspiel „Walhalla“ stößt auch hier auf Begeisterung, wir kommen in den Genuss frischer Pistazien und anderer Leckereien und bekochen als Dank unsere neuen Freunde mit deftigen Bratkartoffeln und Karottenkuchen.
Wir haben viel Zeit für Gespräche über ihr Land, was uns entgegen vieler Reisewarnungen und kritischer Medienberichte, in keinem Moment bedrohlich vorkommt und uns weiterhin ohne Unterlass freundlich empfängt. Mori, in unserem Alter, selbstständig und an beiden Armen reichlich tätowiert, meint, das jener Körperschmuck vor Jahren nahezu keine Akzeptanz in der Öffentlichkeit erfuhr, anders als in diesen Tagen.

Besonders in Teheran, aber auch an so vielen anderen Orten im Iran sehen wir besonders bei jungen Frauen den Hijab lediglich den Hinterkopf bedeckend und auch enge Hosen vertreiben häufig die geforderte weite Kleidung. „It needs some time“, so resümiert Mori an so manchem Abend die Veränderungen im eigenen Land. Und wir verstehen.
Was sich allerdings durch jede Biographie unserer bisherigen (männlichen) Gastgeber zieht, ist die Auseinandersetzung mit dem verpflichtenden Militärdienst für 21 Monate. Erst danach kann beispielsweise ein Reisepass beantragt werden.

Nach den vielen Tagen in der Stadt und nach unseren vielen Bemühungen für Visa für China und Turkmenistan begeben wir uns an unseren letzten Tagen nahe der Hauptstadt gemeinsam mit Mori, Fara und drei weiteren Freunden in den Norden des Landes nach „kdlar dasht“ zu einem Offroadtrip mit Übernachtung.
Früh am Morgen wird unser Gepäck in eines der vielen Allrad-Jeeps geladen und unsere Reise  in die hier von vielen hier als „jungle“ beschriebene (ganzjährig) grüne Natur des Landes beginnt. Manch schlammbedeckter Boden birgt Herausforderungen für unsere großen Zugpferde, von denen zwischenzeitlich einige halb in der Versenkung verschwinden und nur mithilfe vom Star der Truppe, einem kleinen koreanischen Jeep aus Kriegszeiten mit unglaublichen Pferdestärken geborgen werden kann. Schließlich erreichen wir unser Nachtlager, an dem ausgelassen und heiter bei Tänzen ums Lagerfeuer das Leben gefeiert wird.
Die vielen Buchen, die uns ein wenig an zu Hause erinnern, sind in Nebel gehüllt und manch kleiner Regentropfen schafft es durch das dichte Blattmeer der Gipfel hindurch und landet schließlich auf dem laubbedeckten Boden. Diese Nacht wird uns, nicht wie im Alamut Gebirge, ruhig und wohlig warm schlafen lassen und wir sind dankbar, mitgekommen zu sein.

Nach unserem längeren Aufenthalt bei Mori und Fara soll es nun weiter gehen. Mit unserem Stop in Esfahan nähern wir uns den Wüstenregionen des Iran. Wir verbringen an jenen Tagen ein paar schöne Stunden mit unseren Bekanntschaften Aref und Aygin und wandeln im wunderschönen Yazd zwischen den magischen einstöckigen Lehmhäusern, die sich vor der Sonne schützend aus dem Boden erheben, umher.

Nach unseren ersten 3 Wochen in Iran finden sich zahlreiche Fotos von uns auf Smartphones von Einheimischen und die Lust auf weitere Schnappschüsse von Seiten der BesitzerinInnen, sowie der Austausch von Kontakten will nicht abreißen. Es ist anders als in den Ländern zuvor und der anhaltenden Aufmerksamkeit ist manchmal nicht leicht zu begegnen. Gleichzeitig sind wir sehr froh, so offen empfangen zu werden. Es könnte einen wohl wesentlich schlechter treffen.

Welcome to Azerbaijan!

„Welcome in Azerbaijan!“, ruft uns ein junger Mann aus seinem Shop zu. Wir zucken zusammen, bedanken uns kurz und schauen uns an. Sind wir etwa in eine Und-täglich-grüßt-das-Murmeltier-Schleife geraten? Eigentlich wähnten wir uns in Täbriz, Iran, unserer ersten Station nach einer nervenaufreibenden Grenzüberquerung. Das letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist es, diese Prozedur nochmal über uns ergehen zu lassen.
Schon bald können wir erleichtert aufatmen, denn neben dieser etwas verwirrenden ersten Begrüßung stellen wir schnell fest: wir sind richtig. Das Straßenbild hat sich deutlich verändert und auch die Schriftzeichen können wir nicht mehr entziffern. „Welcome in Iran/Tabriz/our city!“ schallt es nun auch aus anderen Winkeln der Stadt in unsere Richtung. Die IranerInnen sollen die nettesten Erdbewohner überhaupt sein, haben wir zuvor in mehreren Reiseblogs gelesen. Und es scheint wirklich so. Wir fühlen uns sofort willkommen, ohne das Gefühl zu haben, dass sich uns zu aufdringlich genähert wird. Höfliche Distanz wird gewahrt, doch die vielen neugierigen Blicke bemerken wir natürlich und fühlen uns ein wenig an Südafrika erinnert.
Nach knapp einer Stunde haben wir schon 3 Täbrizer kennen gelernt und auch unser Schreckensmoment vom Morgen klärt sich auf. Wir sind in der Region Ost-Aserbaidschan gelandet. Über 15 Millionen AserbaidschanerInnen leben in Iran und damit knapp 20% der Gesamtbevölkerung, die meisten hier. Fast alle TäbrizerInnen sprechen auch Azeri, oder wie sie sagen, Türkisch, da sich beide Sprachen sehr ähneln. Wir bekommen Tipps rund um die Stadt und obendrein noch Telefonnummern, die wir ohne zu zögern wählen sollen, wenn wir Hilfe benötigen.
Wir werden hier eine gute Zeit haben, denken wir uns und schlendern weiter. –

2 Wochen sind wir letzten Endes in Baku und können es am Ende kaum noch erwarten, endlich weiterzufahren. Das Visum für den Iran zieht sich in die Länge. Erst stellt sich heraus, dass das von der iranischen Regierung angepriesene E-Visum-System nicht funktioniert, dann drängen sich eine Handvoll Feiertage zwischen unsere Pläne.

Vorgeschmack auf den Iran…

Aber endlich ist es soweit und wir können wieder an die Straße. Weil es tagsüber so heiß ist, beginnen wir erst am späten Nachmittag zu trampen. Trotzdem kommen wir gut voran und übernachten noch ein letztes Mal in Aserbaidschan, kurz vor der iranischen Grenze und nahe der Kleinstadt Bilesuvar. Von einem hilfsbereiten Melonenverkäufer lassen wir uns bei einem kleinen Rundgang seine Felder erklären. Auch er baut die für die Region bekannte Baumwolle an und verzückt halten wir das erntereife flauschige Produkt in unseren Händen.
Am nächsten Tag kommen wir etwas übermüdet an der Grenze an und freuen uns schon diebisch auf das, was dahinter kommen mag. Kurz erstarren wir, als der Beamte bei der ersten Passkontrolle mit dem Kopf schüttelt, um dann doch nur zu sagen: „no problem“. Doch so einfach ist es dann leider doch nicht. Uns wird die Ausreise aus Aserbaidschan verwehrt, weil wir uns von der Migrationsbehörde nicht registrieren ließen. Eine für uns eindeutige, doch anscheinend falsch interpretierte Formulierung auf dem Visum hatte uns in der Gewissheit gelassen, dies wäre nicht nötig. Jetzt sollen wir ins 150 km entfernte Lenkeran, um die Papiere in Ordnung zu bringen. Stinksauer und hundemüde machen wir auf den Weg. In der Stimmung wollen nicht trampen und nehmen den Bus.
In der Behörde werden wir aufgeklärt: entweder wir bezahlen eine Strafe von 150 Euro pro Nase oder wir werden des Landes verwiesen, bis wir die Strafgebühr entrichten. Dankend entscheiden wir uns für die zweite Option, doch bis wir die dies bestätigenden Zettel in den Händen halten, ist es schon wieder zu spät, um über die Grenze zu gehen, die zudem noch eine Stunde entfernt ist. Außerdem brauchen wir dringend eine Mütze Schlaf. Die günstigste Option in Lenkeran ist ein bezahlbares 4-Sterne-Hotel und wir lassen es uns nach dem Stress so richtig gut gehen, bevor wir am nächsten Tag frisch geduscht den zweiten Grenzpunkt, Astara, anpeilen. Doch auch hier will man uns nicht durchlassen. Beim Ausstellen der Papiere hätten die Beamten vergessen, uns aus dem System zu löschen. Wir sollen nochmal hin, aber das ginge erst in 2 Tagen, jetzt sei schließlich Wochenende.
Wir haben mittlerweile wirklich genug von diesem Land und lassen uns nicht abwimmeln. 5 Stunden und einige Telefonate später dürfen wir dann doch noch gehen und tun dies mit großer Bereitwilligkeit.

Die Einreise in den Iran ist problemlos und dann sind wir da. Endlich! Alles ist aufregend und neu. Henriette muss Kopftuch und lange weite Kleidung tragen, im Bus sitzen Männer und Frauen getrennt und überhaupt haben wir das Gefühl, es gibt tausend geschriebene und ungeschriebene Regeln in diesem islamischen Land, in dem als Strafe auf Alkoholgenuss Peitschenhiebe und auf Ehebruch Steinigung stehen. Wir lassen uns beim ersten Geldwechsel gnadenlos übers Ohr hauen, weil wir nicht wissen, dass der Dollar eigentlich das dreifache vom offiziellen Kurs wert ist. Bei all unserer umfangreichen Recherche – auf die Info sind nicht gestoßen.
Nach Ardabil schaffen wir es noch per Anhalter, aber es ist schon spät und wir sind noch etwas überfordert. Wir teilen uns ein Taxi mit 2 anderen Reisenden und fahren die letzten 3 Stunden nach Täbriz.
Wir bleiben nur anderthalb Tage, doch die lassen uns jetzt schon in süßen Erinnerungen schwelgen. Wir sehen uns die Blaue Moschee, den größten überdachten Basar in Iran und monströse Perserteppiche an. Couchsurfer-Host Parisa kann uns zwar leider nicht bei sich aufnehmen, nimmt sich aber zwischen zwei Schichten dennoch die Zeit, uns in die kulinarischen Genüsse der Stadt einzuführen. In der Dämmerung treffen wir Mr. Ali und haben auf den nächtlichen Straßen einen Heidenspaß im 1977-Mercedes.

5 Stunden dauert die Fahrt nach Qazvin, unserer nächsten Station. Wir werden von Eshan mitgenommen und fahren vorbei an bunten Bergen, kleinen grünen Oasen und Schaf- und Kamelherden. Mahal, unser Host hier, muss die nächsten 2 Tage für seine Uni-Prüfungen lernen, aber wir werden wieder mal von der Gastfreundlichkeit der Iraner überrascht. Mara, ein weiterer Couchsurfing-Kontakt, lädt uns ein, mit ihr und ihrer Cousine die Gegend zu erkunden. Wir fahren nach Soltaniye und Zandschan und lassen uns abends Karottensaft mit Eis und Qazvin-typisches Baklava mit Safran schmecken, das ein wenig an deutsches Marzipan erinnert.

„It’s not a big deal“, ist Mahals Lieblingssatz. Alles easy peasy also? Wir haben das Gefühl, das ist der Eindruck, den uns die meisten Iraner vermitteln wollen. Jeder versucht, es uns bequem und schön zu machen in diesem widersprüchlichen Land. Aber Mahal sagt auch: „You are living my dream“ und unsere deutschen Privilegien werden uns wieder mal bewusst. Wer als Iraner reisen will, hat mit einem schwachen Pass, einer schwachen Währung und einer Menge Vorurteilen zu kämpfen.
Umgekehrt wird sich über jeden, der Lust hat, den Iran kennen zu lernen, aufrichtig gefreut.

In diesem Sinne: A Salam Alaikum!