Durch Dschungel, Städte und Wüsten nach Yazd

Die Augen geschlossen. Der Puls ruhig und entspannt bei 80 Schlägen pro Minute.
Sowohl unsere Schenkel als auch unsere Zehen wiegen sich nach vielen Stunden tatkräftiger Unterstützung auf unserer Wanderschaft in glücklich entspannter Bewegungslosigkeit. Isomatten und Schlafsäcke frohlocken mit ihren weichen Eigenschaften und erwecken bei uns den Eindruck, wir wären selbst die aus dem Märchen bekannte Prinzessin – jedoch ohne Erbse – auf ca. 3200m Höhe, irgendwo inmitten der Berge des Alamut-Gebirges.
Wir haben es tatsächlich geschafft! Gestartet im kleinen Dorf Haniz, (5 Stunden Autofahrt von Qazvin entfernt), bezwingen wir gemeinsam mit Mahan und Tiziano, einer Bekanntschaft aus Täbris, über 2000 Höhenmeter.
Was unsere Fitness betrifft sind wir danach so hinüber wie – gefühlt – noch nie. Doch der Blick von dort oben auf die weite Bergelandschaft, wie auf den Siyalan (4123m und zum Greifen nahe), mit ihren hohen Gipfeln und tiefen Tälern stimmt uns zufrieden und froh. Wir genießen nach Zeltaufbau und Fertigsüppchen das funkelnde Sternenschauspiel am Nachthimmel und verkriechen uns schließlich müde, erschöpft und auch ein wenig stolz in unsere weichen Kokons.

Nach nur wenigen Stunden Schlaf jedoch klingt es nach Streit, dort droben in den Himmelsphären. Die Augenlider erwachen zu neuem Leben und der Puls schnellt in die Höhe. Während wir zuvor noch die nächtliche Ruhe genossen, veranstalten nun donnernde und blitzende Wettergespenster ein riesengroßes Gezeter. Unser Zelt ist umzingelt von starken, zischenden und fauchenden Winden. Ihre Gefährten sind starker Regen und Hagelkörnern von stattlicher Größe. Beim Versuch, mit Händen und Füßen der nun zunehmend furchteinflösenden Naturgewalt Einhalt zu bieten und jene Kräfte von unserem Zelt abzuwenden, scheitern wir kläglich. Unsere dünnen Wände winden sich von einer Seite zur nächsten, unser Zeltboden hebt sich an manchen Stellen, wie ein Raumschiff, bereit zum Abheben. Schließlich bahnen sich die ersten Tropfen den Weg durch den Lüftungsschlitz. Auch unser lautstarkes Fluchen beeindruckt niemanden da draußen und wir retten uns schließlich in die windgeschützte Hütte neben uns. Die einzigen Lichtblicke sind in jenen Minuten Nikolas‘ stramme Waden und Oberschenkel, die den anderen WanderInnen aus der Not heraus und eher unfreiwillig beim Eintreten des neuen Unterschlupfs präsentiert werden. Jenem Augenschmaus folgt der auf die islamische Etikette bezogene Kommentar von Mahan, dass Nikolas sich doch bitte etwas mehr bedecken möge…
Nach aller Aufregung erwartet uns auf nassen Isomatten und feuchten Schlafsäcken nur eine sehr kleine Mütze Schlaf.

Schadensbegutachtung mit Tiziano.

Am nächsten Morgen beginnen die Aufräumarbeiten auf dem zurück gelassenen Schlachtfeld. Wir suchen die Einzelteile unserer Zelte zusammen und machen uns nach kurzer Nahrungsaufnahme auf den Heimweg, zurück nach Qazvin und zur späteren Stunde am gleichen Tag weiter in Richtung Teheran.

Mori und Fara, unsere nächsten Gastgeber, warten bereits auf uns. Und da wir uns bei den beiden so wohl fühlen werden, verbringen wir nahezu zwei Wochen in der Gemütlichkeit des jungen Pärchens und ihren Freunden. Gleich bei unserer Ankunft erfahren wir über eine Besonderheit, die die folgenden Tage den September bestimmen werden. Neben den vielen großen und kleinen Fahnen und Bannern mit ihren bunten Schriftzügen auf schwarzem Grund, geben auch die vielen Stände auf den Bürgersteigen, an denen kostenlos süßer Saft und warme Speisen verteilt werden, Aufschluss auf das jährlich zelebrierte Ashura.
Während des anstehenden Trauermonats gedenken schiitische Muslime Hussein Ibn Ali, Enkelsohn des islamischen Propheten Muhammed und Sohn des Ali. Nach dem islamischen Kalender lässt dieser am 10. Muharram, am 10. Tag des ersten Monats des Jahres, in der Schlacht von Kerbela sein Leben und wird bis heute als Märtyrer gefeiert und betrauert.
Bei den allabendlich stattfindenden Trauerzügen wird der mehrere Meter hohe Nakhl, der den Sarg Hysain symbolisieren soll, begleitet von tiefen Trommelschlägen mit körperlicher Manneskraft durch die Straßen getragen.
Dem Sarg folgen weitere Anhänger, die durch das leichte Schlagen auf die Brust (Sīnazanī) und ihren Gesängen den Zug begleiten. Die Selbstgeißelung ist in ihrer ursprünglichen Form mittlerweile verboten und wird nur noch symbolisch und längst nicht von allen Teilnehmern der Trauermärsche praktiziert.

Wir selbst sehen an unserem letzten Abend in Teheran einem Trauerschauspiel (Ta’ziya) zu Ehren Husseins zu.
Während auf der Bühne die Schlacht in Kerbela beginnt, spricht uns ein junger Mann an. Ihm sei wichtig, zu erklären, dass es trotz des martialischen Schauspiels nicht um Gewalt oder gar Terrorismus ginge, sondern um die Liebe zu einem im schiitischen Glauben wichtigen Mann.
Er macht uns nachdenklich und seine Erklärungen decken sich mit so vielen anderen Kommentaren Einheimischer und ihrem Bestreben, den Besuchern in ihrem Land immer wieder deutlich zu machen, wie friedliebend die Iraner sind und dass das medial erzeugte Bild ausschließlich auf einer von vielen nicht unterstützten Politik basiert.

Wir genießen die Zeit mit Fara, Mori und auch Arien, einem engen Freund der beiden, in vollen Zügen. Unser Lieblingskartenspiel „Walhalla“ stößt auch hier auf Begeisterung, wir kommen in den Genuss frischer Pistazien und anderer Leckereien und bekochen als Dank unsere neuen Freunde mit deftigen Bratkartoffeln und Karottenkuchen.
Wir haben viel Zeit für Gespräche über ihr Land, was uns entgegen vieler Reisewarnungen und kritischer Medienberichte, in keinem Moment bedrohlich vorkommt und uns weiterhin ohne Unterlass freundlich empfängt. Mori, in unserem Alter, selbstständig und an beiden Armen reichlich tätowiert, meint, das jener Körperschmuck vor Jahren nahezu keine Akzeptanz in der Öffentlichkeit erfuhr, anders als in diesen Tagen.

Besonders in Teheran, aber auch an so vielen anderen Orten im Iran sehen wir besonders bei jungen Frauen den Hijab lediglich den Hinterkopf bedeckend und auch enge Hosen vertreiben häufig die geforderte weite Kleidung. „It needs some time“, so resümiert Mori an so manchem Abend die Veränderungen im eigenen Land. Und wir verstehen.
Was sich allerdings durch jede Biographie unserer bisherigen (männlichen) Gastgeber zieht, ist die Auseinandersetzung mit dem verpflichtenden Militärdienst für 21 Monate. Erst danach kann beispielsweise ein Reisepass beantragt werden.

Nach den vielen Tagen in der Stadt und nach unseren vielen Bemühungen für Visa für China und Turkmenistan begeben wir uns an unseren letzten Tagen nahe der Hauptstadt gemeinsam mit Mori, Fara und drei weiteren Freunden in den Norden des Landes nach „kdlar dasht“ zu einem Offroadtrip mit Übernachtung.
Früh am Morgen wird unser Gepäck in eines der vielen Allrad-Jeeps geladen und unsere Reise  in die hier von vielen hier als „jungle“ beschriebene (ganzjährig) grüne Natur des Landes beginnt. Manch schlammbedeckter Boden birgt Herausforderungen für unsere großen Zugpferde, von denen zwischenzeitlich einige halb in der Versenkung verschwinden und nur mithilfe vom Star der Truppe, einem kleinen koreanischen Jeep aus Kriegszeiten mit unglaublichen Pferdestärken geborgen werden kann. Schließlich erreichen wir unser Nachtlager, an dem ausgelassen und heiter bei Tänzen ums Lagerfeuer das Leben gefeiert wird.
Die vielen Buchen, die uns ein wenig an zu Hause erinnern, sind in Nebel gehüllt und manch kleiner Regentropfen schafft es durch das dichte Blattmeer der Gipfel hindurch und landet schließlich auf dem laubbedeckten Boden. Diese Nacht wird uns, nicht wie im Alamut Gebirge, ruhig und wohlig warm schlafen lassen und wir sind dankbar, mitgekommen zu sein.

Nach unserem längeren Aufenthalt bei Mori und Fara soll es nun weiter gehen. Mit unserem Stop in Esfahan nähern wir uns den Wüstenregionen des Iran. Wir verbringen an jenen Tagen ein paar schöne Stunden mit unseren Bekanntschaften Aref und Aygin und wandeln im wunderschönen Yazd zwischen den magischen einstöckigen Lehmhäusern, die sich vor der Sonne schützend aus dem Boden erheben, umher.

Nach unseren ersten 3 Wochen in Iran finden sich zahlreiche Fotos von uns auf Smartphones von Einheimischen und die Lust auf weitere Schnappschüsse von Seiten der BesitzerinInnen, sowie der Austausch von Kontakten will nicht abreißen. Es ist anders als in den Ländern zuvor und der anhaltenden Aufmerksamkeit ist manchmal nicht leicht zu begegnen. Gleichzeitig sind wir sehr froh, so offen empfangen zu werden. Es könnte einen wohl wesentlich schlechter treffen.

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