Gut überwacht zur höchsten Grenze der Welt

Innerlich sind wir vorbereitet auf den anstrengendsten Tag unserer Reise. Wir haben uns belesen über Xinjiang, die Provinz im Westen Chinas, die zwischen uns und unserem nächsten Ziel Pakistan liegt. Wissen, dass die Chinesen wegen Attentaten einiger extremistischer Uiguren einen Polizeistaat errichtet haben und die Einreise für Ausländer mit enormen Sicherheitskontrollen einhergeht. Dass dabei der Zugriff auf Handys und Laptops gefordert und in manchen Fällen gar eine Spionage-App installiert wird. Dass unterwegs mindestens alle 100km ein Checkpoint mit Gesichtserkennung wartet und es in den Städten von stationärer und mobiler Polizei nur so wimmelt.
Wir sind vorbereitet und doch überrascht, als wir erst gegen 10 Uhr abends, 13 Stunden, nachdem wir in Irkeshtam aufbrechen und die nur 250km nach Kashgar vor uns haben, hundemüde die Tür zum Hotelzimmer aufschließen.

Um 9 geht’s los. Wir stärken uns nochmal an einer deftigen Morgensuppe und laufen anschließend zum einsamen Grenzposten der Kirgisen, der nur ein paar Meter von unserer Unterkunft entfernt liegt. Ein dicklicher Soldat liegt auf der Heizung und schreckt auf, als wir eintreten. Nach einem halbherzigen Gepäckcheck verabschiedet uns ein weiterer Grenzbeamter mit einem Lächeln, dass uns – aus der Retrospektive betrachtet – wohl auf die kommenden Strapazen vorbereiten soll.
Unsere erste Begegnung mit chinesischem Staatsgebiet machen wir, als wir wenig später über die Baustelle stolpern, die wohl demnächst mal ein anständiger Grenzposten werden soll. Die netten Beamten, die wir schließlich aufstöbern, machen uns ein Auto zum nächsten Checkpoint klar. In diesem angekommen, werden wir dann erst einmal im abschließbaren Warteraum untergebracht und dürfen uns die erste von vielen schlecht übersetzten Infotafeln durchlesen. Individualreisenden wird hier nochmals empfohlen, die offiziellen Taxis zu benutzen. Die Straße zum nächsten Checkpoint und weiter nach Kashgar sei schlecht ausgebaut und man würde auf eigene Faust Gefahr laufen, vom rechten Wege abzukommen…
Nachdem ein Grenzbeamter sich wenig später tatsächlich fast alle unserer 10000 Bilder auf dem Tablet angeschaut und sich über das chinesische Fabrikat gefreut hat, geht es auf einem hervorragenden Highway weitere 140 km auf schnurgerader Strecke zum eigentlichen Immigration Post in Ulugqat. Als wir an den wenigen Siedlungen vorbeifahren, sehen wir neben hochgradig gesicherten Kindergärten und Schulen auch die uns wohl bekannten Kalpak-Hüte durch die staubigen Straßen spazieren. Auch Kirgisen bilden eine Minderheit in Xinjiang.
An unserer nächsten Station wirds nochmal penibel. Uns werden die Fingerabdrücke abgenommen und Henriette darf einmal ihren gesamten Hausrat präsentieren. Unser Taxifahrer ist schon abgefahren, als wir endlich auch die Diskussion darüber gewinnen, ob wir unsere Taschenmesser behalten dürfen. Wir jubilieren wie kleine Kinder, haben aber noch die letzten 100 km bis nach Kashgar vor uns und noch keine Yuan in der Tasche, um uns das Busticket zu kaufen. Zu trampen versuchen wir erst gar nicht.
Nach einigem Hin und Her am Schalter wird ein schwer bewaffneter Polizist zu Hilfe geholt. Er hat eines dieser wirklich schlauen Übersetzungsgeräte und organisiert uns einen Transport zur Bank.
Dank der überall in China gültigen Peking-Zeit (angesichts der schieren Größe Chinas ist eine Zeitzone schon eine Ansage, Anm. d. R.) ist es auf einmal wieder bis abends um halb 9 hell, aber wir erreichen unser Ziel für heute trotzdem erst in der Dunkelheit. Das unentwegte Blitzen der jedes Auto erfassenden Kameras bleibt mir in Erinnerung, als ich später die Augen schließe. –

Kashgar ist neben dem etwas weiter nördlich gelegenen Urumtschi und dem südöstlich gelegenen Hotan eine der größeren Städte Xinjiangs und geprägt durch seine überwiegend muslimische uigurische Bevölkerung. In letzter Zeit machte China von sich reden, weil es hunderte so genannte Umerziehungslager für Uiguren schuf, die sich nicht auf Parteilinie bewegten. In den abgeschiedenen und abgeriegelten Lagern steht u.a. Chinesisch lernen und das Singen von chinesischen Volksliedern auf dem Programm.
Laut Medienberichten sind mittlerweile mehr als 10 Prozent der uigurischen Bevölkerung in derartigen Einrichtungen inhaftiert, oftmals für kleine „Vergehen“ wie dem Teilnehmen an Arabisch-Stunden. Ohne Rücksicht werden hierbei auch Eltern von ihren Kindern getrennt, die fortan in geschlossenen „Kindergärten“ untergebracht sind.
Ich muss an die in der chinesischen Botschaft in Teheran ausgelegten Broschüren denken, die mit sachlichen Titeln sozialwissenschaftliche Studien zur Garantierung der Religionsfreiheit sowie Maßnahmen für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen in Xinjiang darlegten. Davon ist hier allenfalls in den gelegentlich anzutreffenden Übersetzungen der chinesischen Schriftzeichen in Uiguirisch etwas zu sehen. Außer der Heytgah-Moschee, der größten in China, sucht man als solche erkenntliche muslimische Gotteshäuser vergebens. Die alte Kultur der hier seit Jahrhunderten ansässigen Minderheit ist mittlerweile nur insoweit geduldet, als dass es touristisch vermarktbar wäre. Seit 2009 ist ein Großteil der historischen Altstadt zerstört und durch eine neu gebaute „Altstadt“ ersetzt worden. Die Sicherheitskameras sind stilecht mit Bast umwickelt, die Stühle der Cafés mit einem angerauten Look versehen. Horden von han-chinesischen Touristen gehen auf Fotojagd. Wer nicht mindestens 2 DSLRs mit 25cm-Objektiv aufzuweisen hat, durfte offensichtlich nicht in den Bus steigen.
Lässt man für einen Augenblick die Absurdität dieses Disneylands außer Acht, lässt es sich hier sogar prima flanieren. Uigurische Handwerkskunst wird feilgeboten, ebenso traditionelle Speisen aller Art auf dem Nacht-Foodmarkt. Nur die Häuserfassaden, von dezenten Scheinwerfern perfekt ausgeleuchtet, sehen bei genauerem Hinsehen aus wie Kulissen im Filmpark Babelsberg.

Die Reste der – für Touristen nicht zugänglichen – Altstadt im Hintergrund müssen wohl auch noch weichen. Hier ist eine großzügig angelegte Parkanlage geplant.
Dieser sympathische taubstumme Brotverkäufer unterhielt uns herrlich während einer Essenspause und fragte am Ende selber nach einem Portrait. Gut für uns, sonst sind wir meist zu schüchtern, die Leute zu fragen.
Same here!

Etwas authentischer geht es da auf dem sonntäglichen Viehmarkt etwas außerhalb der Stadt zu. Rinder, Yaks, Schafe, Esel und sogar ein paar Kamele werden hier unters Volk gebracht. Angesichts der eng angebundenen Tiere versuchen wir unser Gemüt mit der These zu beruhigen, dass ihr sonstiges Leben wohl immerhin nicht mit dem eines in deutscher Massentierhaltung zu vergleichen ist.
Vor den Toren zum eigentlichen Viehgeschäft werden einige frisch geschlachtete Tiere zerlegt und landen wahlweise in Teig gewickelt in hölzernen Garbehältern oder als Schaschlik im Feuerofen. Quacksalber führen mit Ansteckmikro ihre neuste Wundsalbenkollektion vor und werden nur von den für uns unverständlichen und auf Anschlag gedrehten Werbesprüchen aus mehreren Kleinlastern übertönt, die Plastikwaren aller Art im Angebot haben. Dazwischen kann man frisch gepressten Granatapfelsaft probieren oder sich in großer Runde Honigmelone schmecken lassen.

Nach 3 Tagen machen wir uns auf die Socken: der Karakoram-Highway, der sich von Kashgar bis kurz hinter Islamabad erstreckt, liegt vor uns. Der Kleinbus nach Tashkurgan, dem obligatorischen Zwischenstopp auf dem Weg zur pakistanischen Grenze ist zwar öffentlich, macht aber freundlicherweise Halt an den fotogensten Stellen der Straße, die als eine der höchsten der Welt gilt.
In Tashkurgan darf man das Stadtgebiet ohne besondere Erlaubnis nicht verlassen, trotzdem bleiben wir 2 Nächte und kurieren uns etwas aus. In meiner Erkältung bin ich mittlerweile im Schnupfenstadium angekommen und habe das Gefühl, einen Kopf voll mit Schleim zu haben. Unter diesen Umständen lernen wir aber immerhin eine ganze Palette freundlicher Pakistani kennen, die grenzübergreifend unterschiedlichen Geschäften nachgehen. Bahandi, dessen Firma er treffsicher „Bahandi Import & Export“ genannt hat, gibt schonmal unsere Visadaten an seinen Vater durch, der leitender Beamter an der pakistanischen Grenze ist. Weil die Angabe eines Einreisedatums in unserer E-Visa-Bestätigungsmail fehlt, sind wir uns nicht ganz sicher, ob wir überhaupt schon rüber dürfen.
Am nächsten Tag wagen wirs trotzdem. So ausschweifend unser Einreiseprogramm gestaltet wurde, so schnell werden wir zu unserer Freude bei der Ausreise aus China abgefertigt. Am Busterminal treffen wir all die bekannten Gesichter der Abende vorher wieder und fühlen uns schon bald wie unter Freunden. Als auch wirklich jeder Reissack auf dem kleinen Busdach verstaut ist, geht es los in Richtung der höchsten Grenze der Welt, dem Khunjerab Pass. Draußen wird die Landschaft immer weißer, wir schrauben uns noch ein paar Serpentinen empor und dann sehen wir das berühmte Tor, welches die Grenze symbolisiert. Wir fahren noch vorbei am höchsten gelegenen Bankautomaten der Welt und sind in Pakistan.

Am Bulunkuo See.
Der Khunjerab Pass auf 4693m Höhe.

Die letzten 80 km bis nach Sost sind landschaftlich spektakulär. Wir schlängeln uns durch schroffe Berge und tiefe Schluchten, der Khunjerab River begleitet uns zuverlässig und lässt hier und da kleine Oasen entstehen.
In der Grenzbehörde in Sost werden wir dank Bahandis Bemühungen schon erwartet und mit Tee bewirtet. Als wir uns wenig später ein Bett suchen, treffen wir auf unsere Busbekanntschaften, die uns zurufen: „Enjoy Pakistan! You are free again!“ Da ist was dran.

Auf dem Rücken kirgisischer Pferde durch die Höhen und Tiefen der Berge

Die Grenze in Izboskan (Uzbekistan) ist wohl die entspannteste auf unser bisherigen Reise. Nur drei Schritte vom usbekischen Ausreisestempel entfernt wartet auch schon Kirgisistan auf uns.
Unsere erste Mitfahrgelegenheit von hier nach Bischkek gibt uns bereits einen feinen Vorgeschmack hinsichtlich der Schönheit hiesiger Natur. Während unserer 9-stündigen Autofahrt schrauben wir uns auf der einzigen Straße vom kirgisischen Osten in die Hauptstadt auf den Serpentinen des Landes wie ein Korkenzieher hinauf und hinab. Das Unterhaltungsprogramm aus dem Fenster ist wie ein spannender Roadmovie. Von weißen Gipfeln und mächtigen Gebirgsketten umgeben, sehen wir zwischenzeitlich auf  schneebedeckte Hänge und Straßen, während es wie in einer Achterbahn hoch- und runtergeht. Wir schauen hinab in tiefe Schluchten und entdecken ab und an Pferd, Rind und Schaf beim gemütlichen Grasen in Steillage, welche 94% der gesamten Landesfläche prägt.

Auf dem Weg nach Bischkek

Neben dem genüsslichen Ausblick erhalten wir bei unserem ersten Päuschen bereits unsere zweite Einladung auf dieser Reise zum Pferdefleischverzehr, diesmal ganz unkompliziert als dicken Klumpen aus der Plastiktüte auf die Hand, direkt aus dem Kofferraum. Auch entdecken wir auf dem Schopfe des Onkel unseres Fahrers den traditionellen Hut, den sogenannten Kalpak, der mit seiner Form und weißem Grundton die allerorts zu findende weiße Berglandschaft huldigt und auch noch in diesen Tagen viele Männerköpfe schmückt.

Mittlerweile ein Klassiker der kirgischen Popularmusik, zudem mit feinem Gitarrensolo.

In Bischkek angekommen, legen wir eine längere Rast ein. Die Hauptstadt Kirgisistans erwartet uns mit wenig Sehenswürdigkeiten und touristischen Attraktionen, was uns diesmal sehr gefällt. Wir genießen die zwischendurch milden Temperaturen und denken während der Entschleunigung unserer Schritte auf goldgelbem Blätterteppich zum ersten Mal auf dieser Reise an den Herbst und Väterchen Frost.
Bei unserem Couchsurferpärchen treffen wir an den ersten Tagen auch auf Wendy und Scott aus Taiwan. Wir lauschen ihren Reiseabenteuern, die sie auf ihren Wegen durch Indien und China erlebt haben und erfahren über das angespannte Verhältnis von Taiwan zu China. Wie wertvoll jener zufällige Austausch zu Menschen aus anderen Kulturen der Welt ist, bemerken wir erneut an jenem Abend durch die Unterhaltungen mit den Zweien und verstehen die Welt dadurch vielleicht wieder ein wenig mehr. 

Gemeinsam mit unseren kirgisischen Gastgebern Nurmukhammed und Anett vertilgen wir an so manchem Abend gemeinsam das letzte tägliche Mahl und erfahren auch hierbei mehr über Land und Leute. Dabei kommt auch der wachsende Einfluss des Islam zur Sprache. Die Kirgisen als ein Nomaden-Volk waren in früheren Zeiten stärker dem Tengrismus zugewandt, zu dessen höchstem Gebot u.a. die Einigkeit zwischen Mensch und Natur gehört. Nach Auflösung der Sowjetunion 1991 wurde das entstandene „geistige Vakuum“ wie auch in anderen Ländern zumindest teilweise durch Religion ausgefüllt. Besonders in den letzten Jahren wurde vom Ausland der Bau von Moscheen und Koranschulen vorangetrieben. Wir hören von aus den Vereinigten Emiraten, Saudi-Arabien oder dem Iran gesandten Imamen, die manchmal gar Eltern dafür bezahlen, dass deren Kinder am Koranunterricht teilnehmen.

Kopfbedeckungen wie jooluk oder elecheck haben eine lange Tradition in der kirgisischen Kultur, worunter sich im Straßenbild nun auch, vermehrt bei jungen Frauen, der Hijab zeigt.

Plakat-Kampagne vonseiten der Regierung: „Arme Leute, wie wollen wir leben?“, Sommer 2016, https://blog.nationalgeographic.org/2018/03/11/insight-into-kyrgyz-identity-through-hats-hijabs-and-other-types-of-head-coverings/

Trotz all dieser interessanten Gespräche soll es für uns weitergehen. Doch müssen vorher noch das indische und pakistanische Visum beantragt werden.
Auf unseren Wegen zur Botschaft integrieren wir die süßen Eierkuchen, blini, am Straßenrand als kleine warme Sünden in unseren täglichen Verzehr. Auf dem Bazar ums Eck probieren wir uns zudem durch das breitgefächerte Salatbuffet und ergattern Walnuss und getrocknete Aprikosen zusammen mit Mathias, der kurzfristig auch bei unseren GastgeberInnen unterkommt.

Zu dritt machen wir uns auf in den La-Artscha-Nationalpark, atmen viel der frischen Luft, stärken uns durch kühles Bergwasser und fühlen uns beim Blick hinauf in den Himmel wie ein Trio kleiner Zwerge zwischen all den mächtigen Riesen aus Stein. Da wir bei untergehender Sonne erst wieder an den Eingang des Tals zurückkehren, sind wir zusammen mit einem Autofahrer und seinen weiteren 3 Passagieren die einzigen Hinterbliebenen an jenem verlassenen Ort. Wir dürfen mitfahren und damit auch wirklich keiner auf der Strecke bleibt, erbarmt sich Matthias ritterlich und legt sich für die nächste halbe Stunde in den Kofferraum. Stark!

Da wir noch ein paar Tage länger auf das indische Visum warten müssen, denken wir an noch weitere Abenteuer in kirgisischer Natur und entscheiden uns für einen mehrtägigen Ausflug gen Osten nach Karakol. Entlang des Issyk Kol, des zweitgrößten Salzsees nach dem Kaspischen Meer, erreichen wir das verschlafene kleine Nest. Die meisten Touristen sind schon fort. Während wir den Ziegen beim sich bekriegen zusehen, streifen wir auch hier durch die besinnlichen Wälder, diesmal abseits des nahegelegenen Örtchens Jeti Oguz.
Nachdem wir auf dem Weg zurück nach Bischkek, diesmal südlich entlang des großen Sees, die Märchenschlucht nahe Tamga erklimmen, wagen wir danach, wie von Feenstaub berieseln, einen ganz kurzen Sprung ins ziemlich kühle Nass.

Das traumhafte Tal von Jeti Oguz.

An den nächsten Tagen sollen wir unseren Höhepunkt in Kirgisistan erleben.
Über einen anderen Reisenden in Karakol erfahren wir von Jengish und seinem Gästehaus fernab der Straßen inmitten des Nirgendwo. Mehrere Brücken überquerend erreichen wir schließlich das einzige Haus weit und breit um uns herum. Wir sind angekommen im Tal von Chon Kemin.
Für einen Tag lassen wir uns verwöhnen von deftiger Hausmannskost und müssen bei der hausgemachten Marmelade an die in Rostock aus Himbeeren gemachte und ebenso gute Leckerei denken. Umgeben von allerlei Truthahnmüttern und ihrem jungen fidelen Gefolge Iassen wir uns nach dem Mittagessen auf der Wiese die Sonne auf den gewölbten Bauch scheinen und verwandeln uns nur wenig später in Terrence Hill und Bud Spencer. In unseren Ohren erklingt die alt bekannte Winnetou-Melodei und unsere Reise in Begleitung von Jengishs Sohn hinauf in die Berge auf kirgischem Pferde kann beginnen.
Während sich Nikolas‘ Begleiter durch einen gemütlich trägen Pferdeschritt auszeichnet, sucht meine Stute bei jeder Gelegenheit nach einem grünen Halm zu allen Seiten. Dennoch kommen wir mit unseren charakterstarken Warmblütern gut voran und entdecken durch den Feldstecher einige Rehe und Steinböcke, während wir unseren Tieren eine kurze Auszeit von unseren Körpern gönnen.

Auf dem Weg zur nächsten Grenze machen wir noch einmal Rast in Osh, der zweitgrößten Stadt Kirgisistans. Nazgulia empfängt uns nach unserer langen Anreise aus Bischkek in den späten Abendstunden im flauschigen Bademantel und Pantoffeln unter den Straßenlaternen an ihrem Gartentor und hält für den kommenden Nachmittag einige Überraschungen für uns bereit. Wir folgen der Einladung der engagierten Englischlehrerin nach Frühstück und Mittagessen in einem gemütlichen Stadtcafé und finden uns sodann im DirektorInnenzimmer ihrer Schule wieder. Nachdem das Fotoshooting beendet ist und viele Selfies mit uns und der stellvertretenden Direktorin für die Ewigkeit eingefangen sind, wird die nachfolgende Englischstunde kurzerhand nach draußen verlegt und wir unternehmen einen Ausflug mit Nazgulia und ihren Zöglingen auf den Berg Suleman-Too. Von hier sehen wir der großen Stadt beim Inhalieren der vielen Auto-Abgase zu und dürfen aus dem Augenwinkel Jung und Alt beim illustren Steinerutschen beobachten.

Am darauffolgenden Tag geht es über Sary Tash immer weiter in Richtung chinesischer Grenze. Wir kommen der Toblerone mit weißen Gipfeln immer näher und werden schließlich nach nahezu aussichtslos leeren Straßen von zwei liebenswerten Truckerfahrern mit an den Grenzort Irkeschtam genommen.
Am wohl trostlosesten Ort auf unserer Reise finden wir in einer der verbliebenen Blech-Bauwägen Unterschlupf und sehen dem aufsteigenden Rauch aus den Schornsteinen dabei zu, wie sich ihren Weg zur chinesischen Grenze bahnen. Morgen geht’s nach China.

Ein Land in der Mitte der Welt

Am 4. Oktober sind wir in Uzbekistan. Von der „Taxi-Mafia“ hinter der Grenze hatten wir schon gehört. Man will uns nicht in einem der günstigen öffentlichen Minibus-Taxis mitfahren lassen. Deren Fahrer und die regulären Taxifahrer, die es auf uns schwerreiche Touris abgesehen haben, machen gemeinsame Sache. Ein unnötigerweise maskierter und damit nicht ganz ernst zu nehmender Mann hält die Fäden in der Hand und schreibt sich immer wieder etwas Wichtiges in sein Notizbuch. Erst als wir uns demonstrativ in einen der Minibusse setzen und mit den darin wartenden Frauen zu plaudern beginnen, wird schließlich eingelenkt und man fährt uns für 10 statt der ursprünglich geforderten 30$ nach Bukhara direkt zum Hostel.
Ums Campen ist es eher schlecht bestellt hier, denn bei der Ausreise werden zumindest einige Registrierungs-Zettel gefordert, die von den Hotels ausgestellt werden und außerdem sehen wir uns selten mit einer Landschaft konfrontiert, die sich gut zum Zelten eignet. Wir fahren vorbei an Feldern, auf denen Frauen kleine weiße Wölkchen sammeln, die weiter weg zu meterhohen Bergen geschichtet werden. Weit und breit erstrecken sich die Baumwollfelder. Das „weiße Gold“ aus Uzbekistan soll eines der besten der Welt sein, weil noch von Hand gepflückt wird. Unterbrochen wird diese landwirtschaftliche Einöde von kahlen Wüsten oder Siedlungen.

Bukhara entpuppt sich als gemütliche und leicht zu entdeckende Stadt, die sich gut auf die wieder vermehrt anzutreffenden Touristen eingestellt hat. Die historischen Bauwerke sind hübsch saniert und wir schlendern gemächlich an alten Zitadellen, Moscheen mit prächtigen Holzvorbauten und großen Komplexen vorbei. Abends lassen wir uns ein Süppchen und Manti, gefüllten und in Brühe gekochten Teigtaschen, schmecken.

Am nächsten Tag geht es nach Samarkand, welches ebenfalls mit beeindruckenden Bauten auftrumpft. Für eine Nacht finden wir sogar ein Plätzchen hoch über der Stadt und freuen uns, mal wieder im Zelt zu liegen. Es soll für eine ganze Weile das letzte Mal sein…
Wir treffen Azim, einen Maschinenbauer, der uns mit seinem fließendem Deutsch überrascht, welches er sich in den letzten 6 Monaten selbst beibrachte. Für ein 3-monatiges Praktikum sei er auch schon in Deutschland gewesen, erzählt er uns, hat aber den Wunsch, wieder dorthin zurückzukehren, auch wenn er zunächst weit unter seiner Qualifikation arbeiten müsste. Mit seinem Ehrgeiz und seinem Optimismus beeindruckt uns Azim, auch wenn er sich einreiht in die unzähligen Menschen mit der gleichen Hoffnung, die wir bisher trafen und wir unweigerlich an den brain-drain, dem Abwandern gut ausgebildeter Fachkräfte, denken, der vielen Ländern unserer Route widerfährt.

Die Tilla-Kari-Madrassa im Registan-Komplex in Samarkand ist schon fast zu viel für’s Auge.

Wir halten uns nicht lange auf, wollen noch, bevor es zu kalt wird, einige Zeit in Kirgisistan verbringen und später über zwei hohe Pässe nach China und Pakistan.
Da trifft es sich fast gut, dass Taschkent als eine von einem verheerenden Erdbeben 1966 fast vollständig zerstörte Stadt weit weniger Sehenswürdigkeiten als Bukhara und Samarkand zu bieten hat. Im Bus dorthin freunden wir uns mit Abdurauf an, der uns abends durch die Straßen führt. In den kunstvoll verzierten U-Bahnhöfen erzählt er uns, dass es nach dem Beben eine beispiellose Hilfewelle aus der ganzen Sowjetunion gab. Unzählige freiwillige Arbeiter seien gekommen, um die Stadt wieder aufzubauen, auch die damals moderne Untergrund-Bahn sei ihnen zu verdanken. Auf den langjährigen autokratisch herrschenden Präsidenten Islom Karimov angesprochen, sagt der Anfang-Zwanzigjährige, Karimov habe nach der Unabhängigkeit eine starke Hand bewiesen und es hätte über all die Jahre an brauchbaren Alternativen gemangelt. –

Wir treffen auch unsere Georgien-Bekanntschaften Franni und Jan wieder, die sich nach knapp anderthalb Jahren unterwegs jetzt auf der Rückreise nach Deutschland befinden. Es ist ein bisschen komisch – wir sind noch mittendrin und die beiden können es langsam kaum noch erwarten, wieder nach Hause zu kommen.

Unsere letzte Station in Uzbekistan ist Andijan vor der kirgischen Grenze. Wir wollen es doch nochmal mit dem Trampen versuchen und werden belohnt. Otabek nimmt uns mit und besteht nach den 5 Stunden Fahrt darauf, dass wir den plov, ein für Zentralasien bekanntes Gericht aus in Lammfett gebratenem Reis und Fleisch, seiner Frau probieren. Wir haben noch etwas Zeit, bis unser Couchsurfing-Host uns empfangen kann und nehmen die Einladung an. Es schmeckt vorzüglich und wir sind froh, dass auch hier eine so unverhoffte und herzliche Begegnung zustande gekommen ist.

Doch auch unser Gastgeber Azizbek hat noch etwas vor heute Abend. Sich auf islamische Traditionen berufend, werde nur ich zum geselligen Beisammensein mit seinen Freunden eingeladen. Während Henriette gute Miene zum seltsamen Spiel macht, gehe ich anstandshalber mit auf den Männerabend. In einem Lokal um die Ecke warten schon zwei Freunde Azizbeks mit Häppchen und – ganz entgegen der guten Traditionen – Wodka auf uns. Es soll der feinste Wodka überhaupt sein (siehe auch die garantiert nicht überproduzierte Werbung) und mit der Erwartung, am nächsten Tag keine Kopfschmerzen zu haben, falle ich 4 Stunden später ins Bett.
Pustekuchen, stelle ich am nächsten Morgen fest, aber wir wollen heute noch nach Bischkek. Also machen wir uns mit mehr oder weniger klarem Kopf an die nächste Grenzüberquerung…

Für alles Wissenswerte über Uzbekistan, das ich ausließ, lasse ich dieses Video sprechen.

Uzbekistan ist letztlich nur ein kurzes Kapitel unserer Reise. Was bleibt, sind die Erinnerungen an listige Taxifahrer und Gastwirte, an Touristenziele, Baumwolle, Fettbrühen und Pferdefleisch. Vielleicht kommen wir nochmal vorbei und schauen, was es im Westen des Landes zu entdecken gibt, in Xiva und Nukus, aber bis dahin: Arrivederci, Sergey!