Trampen wie die Könige

Bevor wir in Istanbul aufbrechen, decken wir uns nochmal ein: ein paar Äpfel, Aufstrich, Brot und eine Packung Nudeln. Wir wollen die nächsten Tage draußen übernachten. Okan bringt uns standesgemäß an den passenden Highway und wir verabschieden uns. Mit seiner Schrulligkeit ist er uns in der letzten Woche sehr an Herz gewachsen.

Wir stehen an der Straße und alles, was wir übers Trampen in der Türkei gelesen hatten, scheint sich zu bewahrheiten: wir warten keine 10 Minuten und schon sitzen wir in einem Auto. Am Ende des Tages landen wir in Akçacoka, wohin uns Osman mitnimmt. Er ist nicht nur pensionierter Campingplatzbesitzer und verschafft uns einen Schlafplatz 4 free, sondern gestaltet zudem noch unser Abendprogramm in der bestmöglichen Weise. Auf einer eher inoffiziell wirkenden Terrasse mit Meerblick werden wir eingeladen zu Fisch, Salat, Honigmelone und Raki. Während in der Kneipe unter uns irgendwann die Fetzen fliegen (glücklicherweise nur verbal), erklärt Osman das Gebaren seines Freundes, der eben noch mit uns am Tisch saß, mit dem problematischen Raki-Genuss und schenkt sich noch einen ein. Es ist herrlich! Nach einigen weiteren denkwürdigen Stunden fallen wir reichlich angezaubert in unser Zelt. Geht das jetzt so weiter?

Glückspilz.

In der Tat. In den folgenden Tagen erfahren wir die für uns schon fast unheimlich anmutende Gastfreundschaft der Türken. Wenn uns jemand in Europa mitnimmt, ist das oft schon ein kleiner Schritt aus der Komfortzone der Leute heraus. Hier hat man das Gefühl, es fängt damit erst an. Die Türken lieben ihren Schwarztee (Çay), ihr Essen, Atatürk und die Schönheit ihres Landes. Dass wir nicht zu mindestens einer Mahlzeit am Tag eingeladen werden, passiert selten.
Google Translate ist unser Freund, als wir mit Nasim und Mishla im geräumigen Bulli durch die Gegend fahren und Kelle-Paça essen, eine leckere aus Kuhkopf und – fuß gekochte Fettsuppe, die mit reichlich Knoblauch und Chili verfeinert wird. Gleiches aßen wir schon in Bulgarien, nur wurden hier Innereien verarbeitet.
In Çatalzeytin dürfen wir im Garten von Apsalan übernachten. Inmitten von Feigen-, Kirsch- und Haselnussbäumen fühlen wir uns wie im Paradies. Abends gibt es selbstgemachte Köfte und allerhand andere Leckereien. Wenigstens dürfen wir ihm als Dank am nächsten Tag seine Pfefferpflänzchen vom Unkraut befreien.
Und Ibrahim zeigt uns voller Stolz seine wunderschön gelegene Heimatstadt Sinop.

In Zonguldak.
Zu Gast bei Apsalan und Yamur
Am Nordkap der Türkei, Sinop.

Wir fragen uns, was in unserer Kultur uns verbietet, ebenso spontan und aufmerksam zu sein. Entweder die Leute hier werfen von uns unbemerkt ihre Pläne über den Haufen, um uns zu bewirten, bei der Schlafplatzsuche zu helfen oder einfach einen Çay zu trinken, oder aber die Tage werden nicht so durchgetaktet und lassen deshalb Raum für Flexibilität. Auch der Islam, der seinen Anhängern eine gewisse Gastfreundschaft vorschreibt, scheint eine Rolle zu spielen. Wir können es uns nicht so richtig erklären, aber es ist wunderbar und wir fühlen uns willkommen einem Land, über das man nicht nur Gutes hört.
Wir treffen ebenso viele Erdogan-Anhänger wie auch Gegner. Aber so richtig über Politik will sich keiner unterhalten und wir beharren auch nicht drauf…

Auch die Landschaft lässt uns regelmäßig fast aus den Latschen kippen. Mal fahren wir auf malerischen Küstenstraßen, mal über 2000 Meter die Berge hinauf für einen Abstecher ins Landesinnere, dann wieder an den allgegenwärtigen Haselnusspflanzungen und Tabakfeldern vorbei in Städte mit knapp 200.000 Einwohnern.

Ein Çay ist immer dabei.

In einer davon, Samsun, brauchen wir dann mal wieder etwas Zeit für uns nach all den Begegnungen der letzten Tage. Wir nehmen uns ein günstiges Zimmer, genießen die Dusche und sind ein bisschen faul. Am nächsten Tag lässt sich Henriette in Giresun zusammen mit der Schwester unseres letzten Chaffeurs den Kaffeesatz lesen.
Am nächsten Tag erweist sich in Maçka unsere Idee, am Fluss zu übernachten aufgrund des unwegsamen Ufergeländes‘ als ein etwas zu riskantes Abenteuer, sodass wir nach kurzer Recherche auf einen Campingplatz mitten in den Bergen ausweichen. Die Wolken umwehen uns und wenn es doch einmal aufklärt, fühlen wir uns wie in der Schweiz. Passend dazu spielen Heinz und Heidi, Wahl-Türken aus Zürich, Volksweisen auf dem Akkordeon. Perfekt also, um Energie zu tanken und so machen wir uns nach 2 Nächten an die letzten 200 km in der Türkei.

Grüne Pracht, das Auge lacht.
Der Himmel ist jetzt aufgeklart,
Zeit, dass auch das Frühstück naht.

In Pazar lockt noch mal der Strand und lädt zum Zelten ein und schwupp sind wir auch schon in Batum, einer touristischen, aber trotzdem niedlichen Stadt, die wir heute erkunden werden.

Die Türkei wird uns in guter Erinnerung bleiben als ein Land, in dem wir herzlich aufgenommen wurden und in dem wir uns manchmal wie die Könige fühlten.

Merhaba Gaumenschmaus!

Langsam und leise erwacht ein neuer Tag. Lichtstrahlen bahnen sich nach und nach den Weg zwischen kleinen und sehr großen Wohnhäusern hindurch & gewinnen immerzu an Höhe, begleitet von Vogelgezwitscher und einem kickerikienden Hahn, inmitten einer Großstadt. Mit dem Blick aus dem Fenster des 5. Stocks in Ümranyihe macht Istanbul in den frühen Morgenstunden einen ganz ruhigen Eindruck und lässt kaum die Vorstellung zu, dass in dieser Stadt 17 Millionen Menschen zu Hause sind. Denn sofern man der Innenstadt nur ein bisschen näher kommt, fühlt man sich wie ein kleiner Fisch in einem wahnsinnig großen Schwarm von sehr sehr vielen Fischen ohne Möglichkeit, dem Klang der Straße zu entgehen.

Bevor wir die Türkei und Istanbul verschnupft und erschöpft am Freitag vor knapp einer Woche erreichen, verbringen wir nach unserem Aufenthalt in Sofia noch ein paar Tage an der Küste in Burgas.
Auf unserem Weg hinaus aus Sofia kommt es noch zu einer kurzen Bekanntschaft mit Vladina, einer Frau in den Mitte 50ern mit eigener Talkshow, bei der wir mit unseren Rucksäcken volle Aufmerksamkeit erregen. Neugierig über unser Unterfangen zu erfahren, erzählt sie selbst begeistert von ihren Reisen per Autostop.  Eine Möglichkeit des Reisens, von der sie noch immer großer Fan ist und so – bis heute – unterschiedliche Länder bereist. Ausgestattet mit von ihr gesponsortem Proviant und ihrem Bekenntnis „inside I’m a hippie“ verabschiedet sie uns und wir nehmen den Bus stadtauswärts.

Nach nur wenigen Minuten mit herausgehaltenem Schild werden wir sogleich von einem Pärchen nach Plovdiw mitgenommen und während der Fahrt darüber hinaus sogar noch mit Schokolade versorgt. In einer der Kulturhauptstädte 2019 angekommen, gönnen wir uns aufgrund fehlender Grünflächen für einen unschlagbaren Preis ein sehr rustikales Hostel, was durch seinen sehr unkonventionellen Charme uns wohl noch lange in Erinnerung bleiben wird. Bei unserem Eintreffen wird zu allererst lautstark auf Bulgarisch der Preis kommuniziert und beim Kartoffelkochen versuchen wir weiter mit der „Rezeptionistin“ in Gespräch zu kommen. Es wird viel gelacht auch wenn wir einander wohl mit keinem Wort verstehen. Beim Abendspaziergang und während unserer morgendlichen Erkundungsschritte durch die kleine Stadt sind wir immer wieder umgeben von Klängen, wie denen von Bach auf dem Klavier, gespielt in Jazzmanier, die sich aus den geöffneten Fenstern auf die Gassen der kleinen Straßen ausbreiten.

Kyrillisch für Fastfood-Liebhaber. Plovdiv.
Eine tolle Stadt!

Doch es soll weitergehen. Nach einer Übernachtung in Plovdiw zieht es uns an die Küste Bulgariens und ans Schwarze Meer. Doch dieser Tag ist wirklich nicht ohne! Unsere erste Mitfahrgelegenheit sichert uns zwar zu, auf dem richtigen Weg zu sein, doch wir erkennen leider einige Minuten zu spät, dass die Route für uns eher ungünstig ist. So müssen wir erst einmal zurück laufen, begleitet von quälender Hitze und dem Lärm der vorbeifahrenden Autos, ohne Unterlass. Nach langem Warten und wenig Hoffnung haben wir doch noch 3x großes Glück und schaffen es am Ende noch nach Burgas. Wegen eines leicht angeschlagenen Näschens wird auch in dieser Stadt lieber günstig eingecheckt als sich noch auf die Suche nach einem Zeltplatz zu begeben, auf dem Balkon gekocht und am Abend das Zimmer in einen Wäscheleinensalon umfunktioniert.

Plovdiv – Burgas
Endlich am Meer! Burgas.

Die darauffolgenden Tage verbringen wir am Strand von Arkutino 30km südlich von Burgas und kehren Menschen und der Stadt den Rücken. In wenigen Tagen soll hier die Sommersaison starten, doch bis jetzt nahezu Leere so weit das Auge reicht. Wir finden ein nettes, abgeschiedenes Plätzchen in der Bucht und freuen uns darauf, uns für ein paar Tage die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Aber Schnupfen und Halskratzen machen uns einen Strich durch die Rechnung. Und so verbringen wir unsere Zeit am Meer lediglich damit, zu genesen und unsere Essensvorräte zu verputzen. Immerhin ist das Meeresrauschen unser ständiger Begleiter, wiegt uns in den Schlaf und begrüßt uns am Morgen.

Ankunft am Traumstrand.
Unser Krankenlager in idyllischer Umgebung.
Ein paar Klänge zur Nacht.

Da wir bereits Okan, unserem Couchsurfer in Istanbul zugesagt haben, uns die Nahrung ausgeht und unser Unwohlsein nicht nachlässt, entschließen wir uns, das Strandparadies zu verlassen und mit dem Nachtbus nach Istanbul zu fahren.

Bereits in den frühen Morgenstunden erreichen wir diese große Stadt, unser erstes großes Ziel, ohne EU-Internet und zu allererst ein wenig orientierungslos. Nach kurzer Starthilfe der Einheimischen machen wir uns auf den Weg zu Okan. Beim Anblick der unzähligen Moscheen, der Essensstände und kleinen Lädchen haben wir das Gefühl, dass unsere Reise jetzt erst so richtig beginnt.

So glücklich und dankbar dafür, dass wir schon so früh bei Okan sein dürfen, schnappen wir uns erst einmal eine große Mütze Schlaf im großen Gästebett und machen den Tag über nicht viel anderes.
Am nächsten Tag und schon ein gutes Stück gesünder geht es dann so richtig los! Es ist schwer in Worte zu fassen und zu schade, dass es uns nicht möglich ist, unsere kulinarischen Erlebnisse in Form von Essensproben zu teilen. Wir erleben in den letzten Tagen eine wahnsinnig beeindruckende Gastfreundschaft und Freundlichkeit, die es so schön und einfach macht, sich in einer vermeintlichen Fremde sehr schnell sehr wohlzufühlen. Unser wohliges Gefühl steigert sich durch unsere Reise zu jenen Köstlichkeiten, die wir hier probieren und auf der uns Okan tatkräftig und enthusiastisch begleitet. Fast jeden Tag verbringen wir mit ihm auf den Straßen der Stadt, probieren unwiderstehlich gutes Turkish Delight, Baklava, Kebab, Köfte, Manti, die allgegenwärtigen mit Reis gefüllten Miesmuscheln und müssen beim Abendbrot ohne Zweifel anerkennen, dass Okan das beste Rührei aller Zeiten zubereiten kann!

Heute soll es wieder Richtung Schwarzmeer-Küste und Georgien weitergehen. Wir sind gespannt aufs Trampen in der Türkei und alles, was so kommt!

Ein Klassiker unter den Live-Darbietungen auf den Fähren.

Anmerkung: Beide Teilnehmer unseres kleinen Ratespiels (s. unten) haben unseren Aufenthaltsort Istanbul richtig erraten. Herzlichen Glückwunsch! Über die Preise müssen wir uns noch Gedanken machen. Danke für euer Verständnis.