Von Bauernhof-Romantik und der Flucht vor Lockdown II

Während die Sonne noch langsam und vorsichtig ihre leuchtenden, wärmenden Fühler ausstreckt, hört man bereits von draußen den im Garten beheimateten Gockel sein morgendlichen Kikeriki verkünden und Kater Moritz um Aufmerksamkeit miauzen.
In dem für die Freiwilligen bereitgestellten Caravan bietet nur der Schlafsack Schutz vor Kälte und die zum Tagesbeginn kühlen Außentemperaturen erschweren darüber hinaus das Adieu zum warmen Bette.
Doch entschädigt die frische warme Ziegenmilch, die beim Melken, der ersten Tätigkeit unseres jeden Tages, mit den Finger gekonnt in das eigene Kaffeeglas manövriert wird, für diesen etwas ungnädigen Tagesbeginn. Die 6 ausgewählten melkfreudigen Ziegendamen lassen uns nach Tagen des Kennenlernens gerne an ihre Zitzen, nur bei der als trittsicheren „Jacky Chan“ braucht es manchmal etwas Geduld.
Doch sind sie uns wohl mit die liebsten Tiere auf der Farm, auch wenn der Umgang untereinander manchmal recht ruppig sein kann und der Futterneid ziemlich groß ist. Der einzige und von uns nur als „Der Dicke“ vertretende Ziegenbock beeindruckt mit seinen großen, breit geschwungenen Hörnern, die er, clever clever, auch zum Kratzen nutzt, sofern ihm denn der Rücken juckt und belustigt zudem mit seiner lautstarken Zungenakrobatik, mit der er versucht, die eine oder andere Dame für sich zu gewinnen. Aber die Ziege, die wohl alle Freiwilligenherzen im Sturm erobert, ist die kleine Mirjam, die sich in ihren ersten Jahren durch zu wenig Muttermilch körperlich sich nicht vollständig entwickelt hat. Sie ist bekannt für ihre Orientierungslosigkeit, ihr Trödeln und Meckern, während der Rest der Gruppe beim täglichen Auslauf schon wieder aufgebrochen ist, um nach neuen Futterquellen Ausschau zuhalten.

Bei der Weiterverarbeitung der Ziegenmilch zu Käse bekommen wir von Isak, einem Freiwilligen, der uns während seiner letzten Tage auf der Farm unsere zukünftigen Aufgaben erklärt, noch einen Tipp und bewahren die Molke, die bei der Käseherstellung übrig bleibt, für unser späteres Mittagessen auf. So zaubern wir dank des sympathischen Dänen während unserer Wochen viele Male eine sehr feine, schlonzige Pasta mit Gemüse aus dem Garten, die anstatt in Wasser in Molke und rohem Ei gekocht wird. Dabei landen am Ende auch die gesammelten Walnüsse in dieser leckeren Kreation und wir genießen in vollen Zügen all die Dinge, die wir selbst geerntet und gesammelt haben. Was für ein schönes Gefühl.

Doch freuen sich auch Huhn und Schwein über unsere täglich rege Zuwendung. Dabei findet auch die 1,5 Jahre alte Tochter von Jorgus und Katerina, Alsini großen Gefallen daran, die kleinen und großen Schweinchen mit alten Tomaten und Süßkartoffeln zu füttern oder versehentlich zu bewerfen. Und so nimmt sie immer mal wieder eine unserer Hände und besucht mit uns gemeinsam die quiekenden Vierbeiner. Neben Mama Schwein, der wir durch ihre stattliche Größe und ihr Gewicht ehrfürchtig gegenüber stehen, gibt es auch noch die kleinen Ferkel, die wie eine kleine schelmische Fünferbande ständig ausbüchsen, über das weitläufige Gelände strolchen und ihr Dasein, so scheint es, in vollen Zügen genießen. Auch die Hühner bekommen von uns jeden Tag frisch gerupftes Gras, was diese sehr fröhlich stimmt und uns im Gegenzug viele große, kleine, graue, weiße und manchmal auch etwas verbeulte Eier beschert. Ca. 100 an der Zahl kommen da pro Tag zusammen.

Auch wenn wir gut zu tun haben und 6 Tage pro Woche am Ackern sind, so stimmen uns die müden Körper fröhlich am Ende des Tages nach so sinnstiftender Arbeit und die Zeit vergeht wie im Flug. Und auch Corona rückt hier in weite Ferne. Neben Nikolas‘ neuem Toilettenpapierhalter für die Außentoilette im Freien erledigen wir noch viele andere Projekte und Aufgaben, wie die letzte Aussaat des Jahres, Erbsen, täglicher Gemüseernte, Hofladenbetreuung und und und.

Einmal pro Woche hauen wir dann aber auch mal so richtig auf den Putz und machen uns einen freien Lenz. Allsonntäglich frönen wir dem Dolce Vita mit reichlich Souvlaki, Tzaziki, Oliven und Wein.
Unsere Ausflüge führen uns in die malerischen Hafenstädte Limni und Pili mit ihren vielen kleinen Gassen, die zum Umherschlendern einladen und dem blauglitzerklaren Meer und in die Berge, wo wir im für den auswärtigen, abwesenden Priester gemachten Bette übernachten können.

Doch sind wir nicht die einzigen Freiwilligen während unseres 4-wöchigen Aufenthalts. Für knapp 2 Wochen leben wir, nach der Abreise von Isak, zusammen mit einer Französin, Mitte 50, die einiges an Geduld und Empathie einfordert. Trotz vielen Diskussionen über Verschwörungstheorien und ihre eigenen Wahnvorstellungen haben wir uns vorgenommen, lieber die schönen Momente mit ihr am Lagerfeuer in Erinnerung zu behalten, die von ihren Erlebnissen aus Indien und Thailand handeln.
Nach ihrer Abreise lernen wir noch die junge Alma kennen, die wie wir für 4 Wochen auf der Farm mithelfen möchte, bevor sie ihren 2- jährigen Militärdienst, der in Israel sowohl für Männer als auch für Frauen Pflicht ist, antreten will. Sie nimmt uns in ihren Erzählungen mit in ihre Heimat und zaubert Humus, der im Nu verschlungen ist. Es ist ein umkompliziertes und entspanntes Zusammenleben und eine Freude, sie nach der vorherigen Erfahrung um uns zu haben.

Auch wenn Jorgus und Katerina viel von ihren Freiwilligen einfordern, so ist ihnen gleichzeitig bewusst, wie viel diese leisten. Wir haben das schöne Gefühl, unser Einsatz wird wert geschätzt. So werden wir zum Beispiel regelmäßig mit leckeren Süßigkeiten aus der Stadt versorgt und auch für einen ausgiebigen Plausch ist Jorgus trotz des eng getakteten Tages immer zu haben.

Nach 4 Wochen Farmlife machen uns die immer kühler werdenden Temperaturen doch ein bisschen zu schaffen. Das Unterrichten im Freien in der Taverne und ein fehlender Rückzugsort auf der Farm bekräftigen uns in unserem Vorhaben, Abschied zu nehmen. Auch die kalte Außendusche wird langsam zur Herausforderung, auch wenn das Immunsystem wohl über so manch kalten Schauer erfreut ist.
Der kurzfristig angekündigte landesweite Lockdown lässt wenig zeitlichen Spielraum, da wir nicht sicher sein können, wie lange die öffentlichen Verkehrsmittel noch verfügbar sein werden.
Und so packen wir zügig unsere 7 Sachen und kehren der Idylle den Rücken. Dabei schaffen wir es in letzter Instanz nach unserer Ankunft und viel Stau auf den Straßen nach Athen nicht mehr unser eigentliches Vorhaben, Valle, unseren Kompanion aus früheren Dresdner Zeiten auf Kreta zu besuchen, in die Tat umzusetzen.Wir stecken erneut fest in der Hauptstadt und informieren uns in der ersten Woche des Lockdowns über unsere Möglichkeiten des Aus- bzw. Weiterreisens. Aus dem Haus darf man jetzt nur noch für das Nötigste und mit zuvor abgesandter SMS ans Gesundheitsamt. Außer Supermärkten, Bäckereien und Apotheken haben alle Geschäfte geschlossen. Das Ende des Lockdowns ist zwar für Ende November angekündigt, wird erfahrungsgemäß aber gerne verlängert, denken wir uns und planen lieber unsere Weiterreisen Richtung Norden. Vor langer Zeit hatten wir für die Heimreise aus Griechenland die Route über Albanien, Bosnien, Kroatien und Slowenien im Visier, doch schon an der Grenze zu Albanien gibt es gerade kein Durchkommen.


Plan B: Italien. Griechenland wurde in der sich eigentlich überall verschlimmernden Lage von den italienischen Behörden kürzlich sogar als Risikogebiet abgewählt, was bedeutet, dass wir uns nicht einmal in Quarantäne begeben müssen. Und so gönnen wir uns ein letztes großes Schmankerl, bevor es zurück nach Deutschland geht. Nach 33 Stunden auf der Fähre docken wir in Venedig an. Fußwege, Ticketschalter und der Bahnhof wirken überdimensioniert angesichts der wenigen Touristen und Mindestabstände lassen sich bei einem Cappuccino in der Sonne leicht einhalten, wobei wir mit dem Cappuccino eindeutig in der Unterzahl sind. Hier wird schon zum Frühstück lieber mit Aperol Spritz angestoßen.

Zurück in Europa

Es ist wie befürchtet. Keiner nimmt uns mit. Trotz Dauerlächelns, unserem Bemühen, möglichst fit auszusehen und Mund-Nasen-Schutz auf Kinnhöhe, zum Hochziehen bereit, falls doch noch eine Autotür aufgehen sollte. Zum traditionell eher zurückhaltenden Verhalten der Griechen gegenüber abgehalfterten Touristen an der Straßenseite kommt nun die (absolut nachvollziehbare) Angst vorm Virus hinzu. Wäre es nach uns gegangen, würden wir in diesem Moment auch lieber im Bus in Richtung unseres nächsten workaway-Projektes sitzen, doch der ist schon abgefahren.
Dafür schlägt mal wieder die Stunde unserer immer mitgeschleppten und viel zu wenig gebrauchten Camping-Ausrüstung. In einem verlassenen Gärtchen schlagen wir unser Zelt unter ein paar Olivenbäumen auf, futtern die letzten Teigwaren der Bäckerei und werden bald von einer frischen Nacht umhüllt.
Dass die goldenen Zeiten des Trampens und wahrscheinlich auch die silbernen längst vorbei sind, hatten wir verstanden. Durch die Pandemie scheint es, als wären nun wirklich die letzten Tage des von uns so gefeierten Anhaltertums angebrochen. Gut, dass wir schon auf dem Heimweg sind. –

Doch nochmal 6 Wochen zurück.
Unsere neue Heimat für noch gut 3 Wochen heißt Koh Phangan und ist vor allem als Party-Paradies bekannt. Normalerweise steppt hier besonders im Süden der Insel der Bär. Zu den legendär und damit zunehmend hoffnungslos überlaufenen Full- und Halfmoonparties und Eimerbesäufnissen im Rahmen von überall angebotenen Barhopping-Events verirren sich jedes Jahr tausende Feierwütige hierher und bescheren den Einwohnern zwar allmorgendlich vollgekotzte Strände, aber auch Einnahmen, von denen manche Landsleute nur träumen können.
Jetzt wirken die Partymeilen gespenstisch leer und mitleidig beobachten wir am Hauptstrand Haad Rin, wie die Feuershow eines Barangestellten vergeblich um die paar versprengten Spaziergänger buhlt, während aus den Boxen ohrenbetäubender House schallt, als wäre nichts gewesen.
Trotz Corona scheint es jedoch, als würde immernoch gut die Hälfte der Insulaner aus Westlern bestehen, die sich zum Teil im Norden der Insel eine Parallelgesellschaft geschaffen haben, die wiederum der Esoterik, Yoga, Meditation und dem Sich-in-Ekstase-tanzen frönt. Für derlei Hedonismus bleibt neben unserem Online-Deutschunterricht aber leider wenig Zeit. Wir gehen mehr oder weniger fleißig zum Muay Thai (Henriette mehr, ich weniger), erkunden mit unseren Villa-Mitbewohnern Kai, Justine, Jules und Manu entweder die nächste Strandbar oder den besten Food-Market und helfen Kleaw, die in der Zwischenzeit ebenfalls auf der Insel angekommen ist und in Zusammenarbeit mit einem Amerikaner einen natural-building-Workshop gegeben hat, sich von diesem nicht über den Tisch ziehen zu lassen.

Doch das verhängnisvolle Datum, der 26. September, an dem alle Ausländer ohne Aufenthaltstitel ausreisen müssen, rückt immer näher. Warum die thailändische Regierung die schon mehrfach verlängerte Erlaubnis, ohne offizielles Visum im Land zu bleiben, nicht nochmals verlängert, bleibt unverständlich. Sämtliche Tourismus-Komitees verweisen auf den Niedergang des so wichtigen und ohnehin stark angeschlagenen Wirtschaftszweigs. Auch auf Koh Phangan geben immer mehr Geschäfte auf, auf der benachbarten Schnorchel-Insel Koh Tao kann man durch verwaiste Resorts streunern, in denen das Poolwasser noch frisch ist. In den letzten Tagen vor dem 26. sind die Immigrationsbehörden hoffnungslos mit Last-Minute-Anträgen von Leuten überlastet, die noch versuchen, das so genannte „Educational-Visa“ zu bekommen, mit welchem eine Aufenthaltsgenehmigung von bis zu 6 Monaten möglich ist.
So verlockend die Aussicht auch ist, uns mit unseren Online-Jobs die Zeit in angenehmem Klima und mit einem Südfrüchte-Cocktail in der Hand zu finanzieren, entscheiden wir uns gegen diese aufwändige Prozedur und dafür, die Rückreise anzutreten. Wir haben das Gefühl, lange genug auf eine Besserung der Reisesituation gewartet zu haben. Nach 6 Monaten ist es Zeit für eine Veränderung. Unsere eigentlich nächsten Ziele Laos, Vietnam, Kambodscha und später Australien werden auf absehbare Zeit keine Touristen ins Land lassen.
Und so heißt es am 23. September für uns: tschüss 5€/Nacht-Unterkunft mit Pool, Schnorcheln im Korallenriff, Planschen im Badewannenozean, tschüss Pad Thai, Drachenfrucht und frische Mango, tschüss schön-mitm-Roller-rumfahrn – kurz: tschüss Thailand. Du warst ein schöner Ort, um Corona zu ertragen und zu vergessen!

Und so sitzen wir nun also schon zum zweiten Mal auf dieser Reise in einem Flieger, obwohl wir es ohne schaffen wollten. Und so sehr ich die Fliegerei auch verdamme, so fasziniert bin ich doch auch wieder jedes Mal von ihr. Während die Außentemperatur -52° beträgt und wir mit 950 Stundenkilometern in 10 km Höhe durch die Nacht ballern, ist Henriette neben mir schon längst in noch anderen Sphären und ich verfolge auf dem Monitor vor mir unsere Route, die über Orte führt, durch die wir auf dem Hinweg reisten. Zunächst geht es über Kalkutta, wo wir den vorletzten Flug nach Thailand erwischten, dann über Jaipur, Amritsar und Islamabad. Über Mashad im Nordosten Irans (der letzten Station vor einem skurril bedrückenden Turkmenistan), Baku und Georgien schlafe ich, aber als wir die Türkei erreichen, bin ich wieder wach und kann beim Blick aus dem Fenster die Schwarzmeerküste sehen, an der wir vor 15 Monaten entlang trampten. Über Sinop meine ich sogar, unseren damaligen Campingspot ausfindig machen zu können und werde fast ein bisschen sentimental. Es geht zurück. Unser spätestens in Indien formuliertes Ziel, einmal die Welt zu umrunden, ist fehlgeschlagen, aber wer weiß: vielleicht raffen wir uns nochmal auf, wenn es einen Impfstoff gibt oder so.

Jetzt also Griechenland, denn seien wir mal ehrlich: das deutsche Schmuddelwetter kann noch warten. Über unsere frustierenden Versuche, das Trampen wieder aufzunehmen, seid ihr ja schon im Bilde, ansonsten lässt es sich aber hier außerordentlich gut aushalten. In Athen lassen wir uns die Klassiker der griechischen Küche mit reichlich Wein reichen und treffen Matheo und Kristina wieder, die vor uns Kleaw’s Projekt in Thailand bevölkerten und uns jetzt mit großem Elan durch die Stadt führen.

Nach anderthalb Wochen brechen wir aber wieder auf. Auf Dauer wird uns das hier zu teuer. Mit dem ökologischen Bauernhof von Giorgus und Katharina auf Evia haben wir wahrscheinlich das typische workaway-Projekt gefunden. 3 Autostunden von Athen entfernt besteht unser Alltag fortan damit, für das kulinarische Angebot der ansässigen Ziegen, Schweine und Hühner verantwortlich zu sein und ihnen dafür etwas Milch und Eier abzunehmen. (Die Schweine lassen bei diesem Handel auch mal ihr Leben, aber damit haben wir glücklicherweise nichts zu tun.)
Auch Gemüse geerntet werden muss häufig und reichlich, denn neben dem Verkauf in einem Kiosk an der angrenzenden Straße bietet Giorgus auch Gemüsekisten in der nächst größenen Stadt Chalkida an. Ich glaube, er ist wirklich ein sehr guter Farmer, möchte man sich doch jede Erdfrucht am liebsten selber in den Mund schieben, so lecker sehen seine Tomaten, Gurken, Paprika, Bohnen, Zuccini, Melonen und und und aus.

Unser erster selbst gemachter Ziegenkäse.

In der Mittagspause laufen wir die 15 Minuten zur nächsten Taverne, die zwar geschlossen hat, aber kostenloses Wifi bietet, auf dass wir uns mit der Welt verbinden und ihr die deutsche Sprache näher bringen können.
Und nachts leuchten die Sterne so schön wie noch nie.