Unser allmorgendlicher Blick schweift aus unserem Zelt von einem Balkon hinaus in die charmante Weite georgischer Natur. Geschmückt mit grünen Wiesen und Baumtrauben bieten die Gebirgsketten mit dem schneebedeckten Berg „Kazbegi“ in der Ferne unserer Aussicht schließlich Einhalt. Nur das imposante Wolkenschauspiel kann die Höhe der Bergspitzen noch übertreffen, bis sich die Einzelteile ihrer langsam und gemütlich auflösen und davonziehen. Wo und wie sind wir denn nur hier gelandet?
Unser letztes Lebenszeichen gaben wir aus Batumi, wo wir zwischen den Bauten der Saakaschwili-Ära umher schlendern, unsere ersten georgischen Wörter lernen und keines der vielen Angebote zum water parachuting annehmen. Dafür beobachten wir am Strand diejenigen, die es versuchen und essen unsere ersten Khinkali, eine der Spezialitäten des Landes (mit Fleisch oder anderen Leckereien gefüllte Teigtaschen), die wir in ihrer Größe komplett unterschätzen und, wie wir später erfahren, auch in falscher Manier verzehren.
Nach einer entzückenden Reise in den Botanischen Garten, etwas außerhalb von Batumi, wollen wir es in zwei Tagen nach Tiflis schaffen. 375km bzw. 5,5 Stunden liegen vor uns.
Kaum zu glauben, aber nach kürzester Zeit sitzen wir mit zwei anderen Trampern im Auto von Tourguide Vakho. Wir lauschen seinen Geschichten über das Land, während wir unsere ersten Eindrücke der georgischen Natur wie ein trockener Stadtschwamm aufsaugen und bereits jetzt schon von Amors Pfeil getroffen sind. Ohne Ausnahme zieren unsere Fensterscheiben eine reiche Farbpalette unterschiedlicher Grün- und Brauntöne auf kleinen Hügeln und großen Bergen und wir genießen Stunde um Stunde das Schauspiel, welches an uns vorbeizieht.
Ca. eine halbe Stunde vor Tiflis entscheiden wir uns spontan bei der Toilettenpause, an der wohl schicksten Raststätte Georgiens doch noch eine Nacht in unserem Zelt zu verbringen. Zu schön ist der Ausblick in die Landschaft und wir sagen Adieu zu unseren Mitreisenden.
Der letzte Ride am nächsten Morgen nach Tiflis wird begleitet von einem mit Geburtstagsballons gefüllten Kofferraum und Irakli Charkviani mit seiner Ballade „Vici Rom“, der aus den Lautsprechern ertönt, enthusiastisch und voller Hingabe performt von unseren beiden jungen AutofahrerInnen.
Angekommen in der Hauptstadt Georgiens begrüßt uns Couchsurferin Masha in ihrer Wohnung. Sie teilt mit uns an den zwei Tagen, an denen wir bei ihr sein dürfen, ihre Couch, ein paar Bier und lässt uns durch eine spendierte Wäsche wieder gut riechen.
Wir ziehen durch die Stadt ohne festes Ziel, lassen unsere Blicke schweifen und verschwinden immer wieder in kleinen Gassen, begleitet von musikalischen Klängen der groovigen Straßenbands (Kurz denken wir, Joe Cocker höchstpersönlich wäre anwesend.)
Die Empfehlung einer Freundin aus Deutschland führt uns zum wohl edelsten Weiß- und Rotwein unseres jungen Lebens. Wir sind begeistert, wie gut Wein eigentlich schmecken kann und trinken langsam und genüsslich.
Ein wenig abseits von all dem Trubel, in den ruhigeren Straßen und den Hinterhöfen der alten Gemäuer mit ihren angekratzten Fassaden, entdeckt man die kleinen verwinkelten Wendeltreppen, Verandas und langen Wäscheleinen, die geheimnisvoll im Verborgenen schlummern und viel zum Charme der kleinen Stadt beitragen.
Doch neben all dem Zauber, die diese Stadt versprüht, haben wir das Gefühl, sie atmet auch schwer unter den vielen Gästen und neuen Bauten, die sich zwischen die Häuser vergangener Zeiten drängen.
Nach knapp 3 Tagen kehren wir der Stadt zunächst den Rücken…
Seit nun knapp drei Wochen haben wir uns zu sesshaften Reisenden gewandelt und sind zu Gast bei Linda, Giorgi und klein Noah, einige Minuten vom Bazaleti Lake und knapp eine Stunde von Tiflis entfernt. Wir haben die 3 über die Plattform workaway gefunden und finden Obdach und Verpflegung gegen Mitarbeit auf dem Gelände.
Diese kleine Familie, die durch Linda auch deutsche Wurzeln hat, schenkt uns mit diesem feinen kleinen Ort die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Gleichzeitig teilt Linda mit uns ihr Wissen rund um Permakultur und den Gemüseanbau, welches durch Giorgis Großmutter, die den Garten vor Jahrzehnten ins Leben rief, noch erweitert wird.
Für ein wenig handwerkliche Hilfe und Unterstützung bei Arbeiten im Garten lockt hier neben unserem Premium-Schlafplatz mit Matratze unterm Zelt auch der im Dorf hergestellte Joghurt zum Frühstück. Mit noch etwas Honig auf dem Brot kann man bis zum letzten Bissen genüsslich im Paradies schwelgen.
Doch gibt es neben diesen Köstlichkeiten auch andere Dinge, die man hier mit aller Freude und sehr regelmäßig zu sich nimmt… Selbstgebrannter!
Wie der Zufall will, ergeben sich gefühlt jeden Tag Möglichkeiten des heiteren Umtrunks mit selbst verarbeitetem Wein und cha-cha (Traubenschnaps), deren Genuss festen Regeln folgt. Nach jedem neu gefüllten Glas verkündet der Thamadar (Trinkführer) einen neuen Anlass, um anzustoßen. Es wird auf Gott, Georgien, die (georgischen) Frauen, die Verstorbenen der Familie, aber auch auf die kleinen Dinge, die wir im Leben manchmal vermissen, getrunken.
Dabei bleibt ein Abend von vielen in besonderer Erinnerung. Es ist der Geburtstag von Paata, Giorgis Stiefvater, und ein Dutzend älterer Männer säumen die Runde. Giorgis Mutter Thea bereitet ein reiches Mahl und neben viel georgischem Wein wird schließlich auch das alte verstimmte Klavier in die Festlichkeiten integriert. Einer der erheiterten Herren stimmt ein tragende Lied an und füllt zusammen mit Paatas tiefer Männerstimme den kompletten Raum mit Melancholie.
Beim nachmittäglichen Spaziergang wird man hier des Öfteren an frühere Zeiten erinnert, zum Beispiel wenn einem der treibende Kuhhirte auf der Straße begegnet, die Sau des Nachbarn den Wegesrand abgrast, man Dorfbewohner auf der Bank beim Plaudern beobachten kann, der Strom aus der Steckdose ein Päuschen macht und das Wasser aus der nahegelegenen Quelle geholt werden muss.
Auch erleben wir in unseren drei Wochen hier eine Affenhitze, Regengüsse und Windboen und üben uns zusammen mit den beiden weiteren workawayern Jan und Franni aus München neben Pflasterarbeiten und der Kartoffelkäferjagd auch an gemeinsamen (Acro-) Yoga- und Ukulelestunden.
Unser nächster georgischer Reisemeilenstein soll der Westen Georgiens sein, von dem wir allerhand Schönes zu Ohren bekommen haben. Eine Einladung in unseren imaginären Briefkasten erhielten wir bereits von Giorgis Freund Mazo nebst Familie, die wir gerne annehmen wollen.